Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
Vom Netzwerk:
überlieferter kultureller Bestände steht uns heute vor Augen, dass Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung und Schuldenpolitik materielle und immaterielle Folgen haben, mit denen die gegenwärtigen Akteure künftige Generationen belasten. Der elementare Gerechtigkeitsgrundsatz gleicher Freiheit wird gegenüber den künftigen Generationen sehenden Auges massiv verletzt.
    Kommende Generationen bilden eine Haftungsgemeinschaft nicht nur für die Folgen politischer Verbrechen von Vorgängergenerationen, wie wir in Deutschland aus der Haftung für die Folgen der Nazi-Diktatur wissen. Sie bilden ebenso eine Haftungsgemeinschaft für die Folgen von exzessiver Rohstoffnutzung und Umweltbelastung. Wer das durchschaut, kann sein wirtschaftliches Handeln nicht so einrichten, als wüsste er nichts von den Belastungen kommender Generationen.
    Dass wir Gerechtigkeitspflichten gegenüber kommenden Generationen haben, wird von manchen prinzipiell bestritten. Es wird geltend gemacht, dass eine solche Entgrenzung gegenwärtiger Verantwortung der menschlichen Natur widerspricht. Die zur Begründung angeführten soziobiologischen Argumente besagen, dass Menschen aus der Evolution der Lebewesen nur einen Instinkt dazu geerbt haben, die eigene Brut zu schützen. Auf Menschen, zu denen keine verwandtschaftliche oder gruppenmäßige Beziehung besteht, lässt sich dieser Instinkt nur insoweit ausdehnen, als von ihnen reziproke Handlungen erwartet werden können, denn die einzige Form von Altruismus, die der Soziobiologie als wahrscheinlich erscheint, ist der «reziproke Altruismus», also der Tausch von Leistung und Gegenleistung (Trivers 1971). Aufgeschobene Reziprozität ist allenfalls in synchronen Generationen, nicht aber in diachronen Generationen vorstellbar: Eltern setzen sich für ihre Kinder ein und verbindendamit die Hoffnung, dass sie im späteren Verlauf des Lebens eine Gegengabe erhalten. Von zukünftigen Generationen kann eine jetzige Generation jedoch keine Gegenleistung erwarten; darum fehlt jedes Motiv zu altruistischem Handeln.
    Man kann einwenden, dass diese Argumentation auf einem naturalistischen Fehlschluss beruht. Von einem solchen Fehlschluss ist in der Ethik dann die Rede, wenn man aus dem Sein auf das Sollen schließt und Annahmen über die Natur des Menschen zum Maßstab des für ihn moralisch verpflichtenden Handelns macht. Eine solche Argumentation verkennt, dass Regeln für menschliches Verhalten sich geschichtlich verändern. Sie können also nicht ungeschichtlich definiert werden – sei es durch soziobiologische Annahmen oder durch den Verweis auf eine unveränderliche Schöpfungsordnung oder ein für alle Zeiten gültiges Naturrecht (vgl. Bedford-Strohm 1998: 285ff.). Schließlich wird verkannt, dass Menschen in allen Lebensbereichen auf eine generalisierte Reziprozität angewiesen sind, die über die einfache Tauschmoral hinausgeht.
    Die geschichtlichen Veränderungen, auf die wir uns heute einzustellen haben, betreffen insbesondere die Reichweite gegenwärtigen Handelns. Solange die Meinung vorherrschte, dass das Handeln einer Generation sich nur auf die Generationen der Kinder und Enkel auswirkt, ließ sich auch die wechselseitige Verantwortung auf drei Generationen – junge, mittlere und ältere Generation – beschränken. Mit der Einsicht, dass die Reichweite heutigen Handelns diesen Generationenzusammenhang übersteigt, verbindet sich die Pflicht, die Lebensbedingungen künftiger Generationen angemessen zu berücksichtigen. Nicht eine überdehnte Altruismus-Vorstellung ist bei dieser Überlegung leitend. Es geht vielmehr um die Pflicht, den eigenen Freiheitsgebrauch so zu verantworten, dass die voraussehbaren Folgen unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit geprüft werden. Wenn Gerechtigkeit im Kern auf gleiche Freiheit zielt, müssen wir in unserem Handeln berücksichtigen, dass andere Menschen einen Anspruch auf das gleiche Maß an Freiheit haben, das wir für uns selbst in Anspruch nehmen. Dieses Kriterium ist universalisierbar und betrifft die moralischen Pflichten aller. Die Frage dagegen, welches Ausmaß von Altruismus – also von Zuwendung zu anderen Menschen, die nicht von der Erwartung einer Gegenleistung abhängt – ein Mensch aufzubringen bereit ist, gehört in den Bereich einer Ethik des guten Lebens; auf diese Frage können Menschenim Rahmen der für alle geltenden moralischen Maßstäbe unterschiedliche Antworten geben (vgl. oben S. 17ff.). Die Nächstenliebe, von der im Sinn des

Weitere Kostenlose Bücher