Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Menschen an seinem Namen hängt und einen Ort braucht. Eine anonyme Bestattung steht zuden Traditionen der Bestattung in einer offenkundigen Spannung. Die Rituale von Abschied und Erinnern sind einzubeziehen, wenn Sterben und Tod in ihrer ethischen Bedeutung gewürdigt werden.
Im Vordergrund der ethischen Debatte stehen heute jedoch andere Themen. Die Aufmerksamkeit gilt dem biologischen und medizinischen Verständnis von Sterben und Tod. Diese Verschiebung hat mit der Erweiterung medizinischer Möglichkeiten zu tun. Während über lange Zeit der Stillstand von Herz und Kreislauf als untrügliches Todeszeichen galt, haben die Möglichkeiten der Wiederbelebung eines Menschen nach dem Aussetzen der Herztätigkeit dieses Kriterium zweifelhaft gemacht. Die Möglichkeit, Atmung und Herztätigkeit intensivmedizinisch aufrechtzuerhalten, hat die Frage nach sicheren Todeszeichen verschärft. Nicht mehr der Stillstand von Herz und Kreislauf, sondern der Ausfall der Hirnfunktionen gilt nun als untrügliches Todeszeichen; mehr noch: Der Tod der menschlichen Person wird mit dem Ende der Hirntätigkeit gleichgesetzt (vgl. oben S. 198f.). Nicht mehr das Wesen des Todes, sondern dessen Zeitpunkt ist dabei die entscheidende Frage. Gefragt wird nicht, was das Todesschicksal für den Menschen bedeutet, sondern wann der Prozess seines Sterbens zum Abschluss gekommen ist. Damit verbindet sich die weitere Frage, ob der Mensch berechtigt ist, sein Sterben selbst in die Hand zu nehmen.
Sterben und Selbstbestimmung
Der christliche Glaube sieht im menschlichen Leben eine Gabe des Schöpfers. Sie dankbar anzunehmen und mit ihr verantwortlich umzugehen, ist die große Aufgabe jedes Menschen. Zugleich richtet die christliche Hoffnung den Blick über die Endlichkeit des menschlichen Lebens hinaus auf die Ewigkeit Gottes, in der jedes individuelle menschliche Schicksal seinen Ort findet. Weil in dieser Hoffnung der Tod nicht das letzte Wort hat, können Menschen die Begrenztheit ihres Lebens annehmen und zum Sterben Ja sagen, wenn es an der Zeit ist. Was bedeuten die Dankbarkeit für das Leben in seinen Grenzen und die Hoffnung über diese Grenzen hinaus angesichts der heutigen medizinischen Möglichkeiten?
Die Fortschritte der Medizin verheißen Gesundheit bis ins hohe Alter. Manche leiten daraus ein subjektives Recht auf Gesundheit ab. Das Lebengilt nicht mehr als lebenswert, wenn es den eigenen Ansprüchen auf Gesundheit und Lebensqualität nicht mehr genügt. Wenn diese Ansprüche nicht erfüllt sind, entsteht nach dieser Auffassung ein Recht, dem Leben ein Ende zu setzen. Bisweilen meldet sich sogar der Gedanke, man könne anderen das eigene Leben nicht mehr zumuten, wenn man alt und hinfällig wird. Die Bestimmung über den eigenen Todeszeitpunkt wird als Teil der Selbstbestimmung angesehen. Von Ärzten werden nicht nur Begleitung und Beistand im Sterben, sondern Hilfe zur Selbsttötung oder darüber hinaus auch die Tötung auf Verlangen erwartet.
Das hängt mit den ambivalenten Auswirkungen der modernen Medizin zusammen. Sie verheißt Gesundheit, doch sie verlängert das Leben auch dann, wenn es von schwerer Krankheit gezeichnet ist. Wegen solcher Möglichkeiten der Intensivmedizin schlägt die Dankbarkeit für die Segnungen der modernen Medizin in die Angst vor ihren Folgen um. Es muss jedoch im Bewusstsein bleiben: Über unseren Tod verfügen wir Menschen so wenig wie über unsere Geburt. Auch wenn Menschen unter großen Belastungen den «Freitod» wählen, ergibt sich daraus nicht, dass wir generell über den Zeitpunkt und die Art unseres Todes verfügen können.
Heilen und Helfen
Zum ärztlichen Ethos gehört es, das Leben des Patienten zu erhalten. Ein Arzt, der Beihilfe zum Suizid leistet oder eine Tötung auf Verlangen vollzieht, verstößt gegen diese Pflicht. Deshalb sind beide Handlungsweisen seit dem Hippokratischen Eid bis zur heutigen Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte untersagt. Ebenso gehört jedoch zur ärztlichen Kunst die Einsicht, dass das Sterben seine Zeit hat. Sie gebietet, sich auf das
caring
zu beschränken, wenn die Zeit des
curing
abgelaufen ist. Wenn therapeutisch nichts mehr getan werden kann, ist die Bereitschaft gefragt, einen Menschen gehen zu lassen. Verantwortliches Handeln an dieser Grenze lässt sich nicht bis ins Letzte durch gesetzliche oder standesrechtliche Regeln festlegen. Wichtiger als solche Regelungen ist es, dass auch im modernen Medizinbetrieb Vertrauen und Menschlichkeit ihren Ort
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