Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Schiffbrüchigen aufnehmen kann, besonders häufig verwendet. In dem Satz «Das Boot ist voll» konnte es sogar zum politischen Slogan werden, der vor allem in Fragen der Zuwanderungs- und Asylpolitik verwendet wurde. Extremsituationen dieser Art, die ethisch am ehesten durch die Opferbereitschaft Einzelner zu bewältigen sind, können jedoch kein Grund dafür sein, die Pflicht zum Teilen auch in allen anderen Fällen außer Kraft zu setzen.
Die Bitte um das tägliche Brot
Ob für alle Menschen Essen und Trinken in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen, hängt nicht einfach von Naturereignissen ab – auch wenn der Zusammenhang von Mensch und Natur besonders deutlich wird, wo es um Grundbedürfnisse geht. Zwar sehen Menschen von alters her in den Nahrungsmitteln gute Schöpfungsgaben, um die sie bitten und für die sie danken, doch das schließt die Arbeit für das tägliche Brot nicht aus, von der es schon in der biblischen Schöpfungserzählung heißt: «Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen» (1. Mose 3,19).
Das Vaterunser, das wichtigste Gebet der Christenheit, fasst dieses Thema in die Gestalt einer schlichten Bitte: «Unser tägliches Brot gib uns heute.» (Matthäus 6,11) Sie ist die erste Bitte, die sich den Lebensverhältnissen der Menschen zuwendet. Nach den Bitten, die sich auf Gott richten – seinen Namen, sein Reich, seinen Willen –, beginnen mit ihr die Bitten, die sich mit der Bedürftigkeit des Menschen beschäftigen: seinem täglichen Brot, seiner Schuld und seinen Schuldigern, dem Bösen,mit dem er zu tun bekommt, und den Versuchungen, denen er sich ausgesetzt sieht. Am Beginn steht die tägliche Nahrung im umfassenden Sinn. Denn formuliert wird diese Bitte in einer Zeit, in der zu jeder Mahlzeit Brot gereicht wurde; deshalb ist mit dem Brot die Nahrung insgesamt gemeint, und mit dem «täglichen Brot» die Nahrung für den jeweils nächsten Tag. «Unser Brot für morgen gibt uns heute» – so lässt sich diese Bitte auch wiedergeben.
Auf die Bitte um das tägliche Brot folgt im Vaterunser die Bitte um die Vergebung der Schuld; diese Bitte wird strikt ökonomisch ausgedrückt. Dem Angewiesensein des Menschen auf Nahrung und der Befreiung aus der Schuld wird eine herausgehobene Bedeutung zuerkannt. Angesichts der Probleme der Welternährung wird uns neu bewusst: Für eine wachsende Weltbevölkerung sind Produktion und Verteilung des Lebensnotwendigen von existentieller Bedeutung; durch Handlungsweisen, die den Zugang zu Lebensmitteln verstellen oder erschweren, werden wir am Leben anderer Menschen schuldig. Die Manipulation von Lebensmittelpreisen aus Spekulationsinteresse verdeutlicht das auf dramatische Weise.
Ebenso öffnet die vierte Bitte des Vaterunsers einen Weg dazu, mit Lebensmitteln achtsam umzugehen. Der dankbare Respekt für das, was Menschen zum Leben brauchen, hat sich vor dem Hintergrund dieser Bitte besonders – aber eben nicht exklusiv – auf das Brot bezogen. Der fast vergessene Brauch, in ein Brot vor dem Anschneiden ein Kreuz zu ritzen, drückt diese Dankbarkeit aus. Der Grundsatz «Brot wirft man nicht weg», mit dem viele Generationen aufwuchsen, spiegelt diese Haltung auf seine Weise. Brot ist nicht nur eine «Backware», sondern ein elementares Lebensgut. Nicht nur um ihren Hunger zu stillen, sondern auch um Feste zu feiern, brauchen Menschen Lebensmittel. Nicht nur zur Reproduktion der Arbeitskraft, sondern auch zur Feier nach getaner Arbeit – dem «Feierabend» – gehören Essen und Trinken, denn beide halten, wie der Volksmund sagt, Leib und Seele zusammen.
Wasser ist Leben
Ohne Essen kann ein Mensch einige Zeit überstehen, ohne Trinken nicht. Noch größer als die Zahl der Hungernden auf dem Globus ist die Zahl der Menschen, die keinen verlässlichen Zugang zu gesundheitsverträglichemTrinkwasser haben: circa 1,4 Milliarden. Und 2,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu einer ausreichenden Sanitärversorgung. In diesem Mangel liegt eine der größten Gefahren für Leben und Überleben vieler Menschen. Wasserknappheit ist deshalb eines der großen globalen Probleme des 21. Jahrhunderts. Die Reinhaltung von Wasser, der gerechte Zugang zu ihm und die Bewahrung von Wasserressourcen für die kommenden Generationen gehören zu den wichtigsten Aufgaben nachhaltiger Entwicklung. Die Vereinten Nationen haben im Jahr 2010 das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung als ein elementares Recht jedes Menschen anerkannt.
In Europa betrachten wir
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