Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Möglichkeiten Anteil hat. Jeder Staat hat eine Kulturaufgabe, jeder Staatsbürger ist zugleich Kulturbürger. Die ethische Verantwortung derer, die beruflich im Bereich der Kultur tätig sind, ist der klarste, aber nicht der einzige Fall von ethischer Verantwortung im Bereich der Kultur.
Kulturkonflikte bedürfen der Befriedung. Solche Konflikte entstehen häufig aus ästhetischen Kontroversen. Noch häufiger entstehen sie, weil die Interessen von Kultur und Macht aufeinander treffen. Die Instrumentalisierung der Kultur durch politische oder wirtschaftliche Macht und Proteste aus der Kultur gegen politische Irrwege und wirtschaftliche Missstände können harte Auseinandersetzungen auslösen. Die enge Zusammengehörigkeit von Kultur und Religion zeigt sich nicht zuletzt darin, dass religiöse Spannungen zu Kulturkonflikten führen oder zur Verschärfung politischer Auseinandersetzungen beitragen. Wenn Kultur im Spiel ist, reicht Machttechnik zur Befriedung allein nicht aus; wenn Religion Konflikte verschärft, muss auch über Religion gestritten werden. Die kulturelle Dimension von Konflikten nötigt zu Formen des Streits, in denen Kontroversen um die Wahrheit mit Respekt vor dem anderen und ohne Gewalt ausgetragen werden. Solche Formen des Streits lassen sich sogar als eine Kultur der Befriedung bezeichnen.
Die zentrale Stellung der Sprache
Dass Kultur ein Grundnahrungsmittel ist, kann man sich am leichtesten am Beispiel der Sprache und des Spracherwerbs klarmachen. Die Sprache unterscheidet den Menschen vom Tier; der Übergang zur Sprache ist zugleich die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Menschen zu kooperativem und kommunikativem Handeln imstande sind und von dessen evolutionären Vorteilen Gebrauch machen können. Denn nur durch sprachliche Verständigung können Menschen sich auf Abwesendes beziehen und es in der Verständigung über gemeinsame Ziele berücksichtigen. Sprache ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen Intentionen aufeinander abstimmen und Beziehungen untereinander eingehen können (vgl. Tomasello 2009; Habermas 2009).
Zwar ist die Behauptung des prominenten Linguisten Noam Chomsky, in jedem Menschen sei eine universale Grammatik angelegt, noch immer umstritten. Eindeutig ist aber, dass wichtige Voraussetzungen für den Spracherwerb in der Entwicklung des einzelnen Menschen sehr früh, nämlich bereits vor der Geburt, angelegt werden. Kinder können die Sprache ihrer Mutter früh erkennen und zwischen Muttersprache und Fremdsprache differenzieren. Darin aber liegt nicht nur eine entscheidende Voraussetzung für den Spracherwerb als solchen. Vielmehr entsteht auf diese Weise auch die Möglichkeit zur Mehrsprachigkeit, denn sie setzt die Fähigkeit voraus, verschiedene Sprachen voneinander zu unterscheiden.
Die wichtigsten Weichenstellungen für den Spracherwerb erfolgen in den ersten drei Lebensjahren; diese Jahre haben deshalb für die Bildungsbiographie eines Menschen und seine Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe eine wesentliche Bedeutung. Familiäre Anregungen in dieser frühen Lebensphase haben starke Auswirkungen auf spätere Bildungsmöglichkeiten; ihr Fehlen lässt sich am ehesten durch die Elementarbildung in Kindertageseinrichtungen ausgleichen. Zwei ethische Folgerungen liegen auf der Hand: Eltern sollten ihren Kindern durch die Art ihrer Zuwendung den Weltzugang durch Sprache so leicht wie möglich machen. Die Bildungsinstitutionen aber haben die Aufgabe, die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Kinder so weit wie möglich auszugleichen, Kinder aus bildungsfernen Familien besonders zu fördern und Befähigungsgerechtigkeit als Maßstab allen pädagogischen Handelns anzuerkennen.
Spiel als Kulturphänomen
Die Feststellung, dass der Mensch ein kulturelles Wesen ist, schließt die These vom
homo ludens
, vom spielenden Menschen, ein. Der niederländische Historiker Johan Huizinga hat diese These an reichem Material aus den verschiedensten Lebensbereichen entfaltet. Als Spiel versteht er dabei «eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‹Andersseins› als das ‹gewöhnliche Leben›» (Huizinga 1939: 37). Gewiss sind beim Spielen des Kindes nicht alle von Huizinga genannten Bedingungen erfüllt: Die
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