Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
wissenschaftlicher Aktivitäten und die Mitverantwortung für die Konsequenzen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen bilden damit zentrale Elemente des wissenschaftlichen Ethos.
Diese Denkweise hat seit der Göttinger Erklärung erheblich an Bedeutung gewonnen. Neben die Kernspaltung trat insbesondere der Fortschritt in den Biowissenschaften. Die Entwicklung der künstlichen Befruchtung und des Embryotransfers, der zum ersten Mal 1987 gelang, war ebenso grundlegend wie die Gentechnologie, die gentechnische Veränderungen am Menschen möglich machte. Hatte Walter Benjamin noch vom «Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» gesprochen (Benjamin 1963: 7ff.), so musste nun vom «Menschen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» die Rede sein. Mit der Herstellung menschlicher Embryonen in der Petrischale stellte sich auch die Frage, ob mit menschlichen Embryonen experimentiert und an ihnen geforscht werden darf.
Folgenabschätzung und Würdeschutz
Mit dem Streit um die Forschung mit embryonalen Stammzellen nahm die Debatte um die Verantwortung der Wissenschaft eine neue Dimension an. Nicht nur die Folgenabschätzung bildet nun eine wichtige Dimension der Forschungsethik, sondern ebenso die Abschätzung der Bedeutung bestimmter Forschungsaktivitäten für den Schutz der Menschenwürde. Nun muss gefragt werden, ob der Mensch auch bei solchen Aktivitäten als Person geachtet oder als bloße Sache behandelt wird. Das schließt die Frage ein, ab wann der Mensch Person ist und wie weit der Schutz der menschlichen Würde reicht. Damit zeigt sich, dass es sich hierbei keineswegs nur um naturwissenschaftliche und technische Fragen handelt. Vielmehr sind mit den neuen wissenschaftlichen Herausforderungen Grundfragen des kulturellen Selbstverständnisses sowie komplexe ethische und rechtliche Fragen verbunden.
Beispielhaft zeigt sich das an der Entwicklung zur synthetischen Biologie. Mit der Entwicklung synthetischer Zellen verbinden sich kühne Hoffnungen: treffgenaue Grippeimpfstoffe, synthetisch erzeugte Nahrungsmittel und neuartige Treibstoffe. Der schnell erhobene Vorwurf, die damit befassten Wissenschaftler wollten «Gott spielen», trägt wenig zur Klärung bei. Ein solcher Vorwurf zeugt, wie Jens Reich bemerkt hat, von einer sehr «armseligen Vorstellung von Gott» (Reich 2010). Doch ob die fortschreitenden Möglichkeiten, Leben synthetisch herzustellen, verheißungsvoll oder bedrohlich sind, ist beim gegenwärtigen Wissensstand schwer einzuschätzen; fatalerweise müssen, folgt man dem Rat von Jens Reich, auch die Skeptiker die sich abzeichnenden wissenschaftlichen Wege mitgehen, denn nur dann verfügen sie über die Voraussetzungen dafür, sich gegen eventuell auftretende Gefährdungen abzuschirmen.
Die ethische Reflexion über solche Entwicklungen ist ebenso auf Offenheit angewiesen wie auf klare Maßstäbe. Unbedachte Fortschrittsfeindlichkeit ist ebenso unangebracht wie blinder Fortschrittsoptimismus. Die Diskussion über die Maßstäbe zur Beurteilung neuer Forschungsergebnisse ist ebenso notwendig wie eine sorgfältige Abwägung ihrer möglichen Konsequenzen. Viele Urteile, mit apodiktischer Eindeutigkeit vorgebracht, tragen allerdings nur hypothetischen Charakter. In manchen Fällen gingen die problematischen Resultate von Forschungsergebnissen über das ursprünglich Befürchtete weit hinaus, wie die Massenvernichtungswaffen zeigen. In anderen Fällen macht man inzwischen von Forschungsresultaten, die man ursprünglich eher für Teufelszeug hielt, selbstverständlichen Gebrauch, etwa von künstlich hergestelltem Insulin. Die Katastrophenstimmung, mit der Zivilisationskritiker der ersten Eisenbahn entgegentraten, kann zur Vorsicht vor übertriebener Skepsis mahnen; die Tatsache, dass in Europa menschliche Embryonen nicht zur Reproduktion menschlichen Lebens, sondern zu Forschungszwecken hergestellt werden, ist dagegen nach wie vor Grund zu größter Wachsamkeit.
Es ist deshalb notwendig, ohne falsche Dramatisierung ethische Sensibilität zu wecken und die persönliche wie die gemeinsame Urteilsbildung zu fördern. Es geht darum, sich über die notwendigen rechtlichen Rahmenregelungen zu verständigen, ohne die persönliche Verantwortung der einzelnen Forscher wie die gemeinsame Verantwortung der Forschung unwirksam zu machen.
Die Frage nach der Verantwortung der Forschung kam zuallererst aus der Wissenschaft selbst. Die Auswirkungen ihres Tuns auf die Gesellschaft im Blick zu
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