Ethik: Grundwissen Philosophie
und humanitäre Tätigkeit Partei ergreife. Bekannt ist Mills Sentenz: »Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein, als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.« (Mill 2003, 89) Damit macht er deutlich, dass »Lust« nicht ausschließlich körperlichen Genuss bedeutet, der durch Essen, Trinken, Sexualität und Ausspannen hervorgerufen wird. Mill vertritt mithin einen qualitativen Hedonismus. (Vgl. Höffe 1981, 47) Wer kann nicht das intellektuelle Erleben nachempfinden, das manche Schülerinnen und Schüler haben, die den Weg, wie eine Mathematikaufgabe zu lösen ist, endlich begriffen haben und am Nachmittag zu Hause höchst lustvoll immer wieder neue Aufgaben derselben Art rechnen? Darum sagt Mill: »Die Anerkennung der Tatsache, daß einige Arten der Freude wünschenswerter und wertvoller sind als andere, ist mit dem Nützlichkeitsprinzip durchaus vereinbar.« Und weiter schlussfolgernd: »Von zwei Freuden ist diejenige die [44] wünschenswertere, die von allen oder nahezu allen, die beide erfahren haben«, vorgezogen wird. (Mill 2003, 87f.)
Der dritte Begründer des Utilitarismus, der sich wie Mill aber durchaus kritisch zum Utilitarismus äußert, ist Henry Sidgwick (1838–1900). Er geht bei seinen Überlegungen von der bestehenden moralischen Ordnung aus und will »diese Moral doch mit Achtung und Bewunderung betrachten: als ein wunderbares Naturerzeugnis, das Ergebnis eines jahrhundertelangen Wachstums, das in vielen Teilen ein ebenso feines Anpassen der Mittel an mannigfache Forderungen aufweist wie der vollendetste Aufbau physischer Organismen. Er [der Utilitarist] wird mit achtungsvoller Vorsicht damit umgehen als einem Mechanismus, der aus dem schwankenden Element der Meinungen und Neigungen zusammengesetzt ist und mit dessen Hilfe das gegenwärtige ›Quantum‹ des menschlichen Glücks beständig erzeugt wird.« (Sidgwick 2003, 115) Der Utilitarist nun habe die Pflicht, an der Verbesserung der bestehenden Moral mitzuwirken. (Vgl. Sidgwick 2003, 115) Dabei habe er mehr auf die Realisierung der Gerechtigkeit zu achten als auf die Gleichheit aller Menschen, die Bentham zu seiner Zeit richtigerweise ins Zentrum stellen musste, um der Bevorzugung einer privilegierten Schicht entgegenzuwirken. Jetzt hingegen »müssen wir uns mithilfe der utilitaristischen Methode vergewissern, wie weit Menschen in besonderen Verhältnissen eine Moral erfordern, die ihnen besser angepaßt ist, als der gemeine Menschenverstand ihnen zugestehen möchte, und wie weit Menschen von besonderer geistiger oder körperlicher Beschaffenheit von gewöhnlichen Regeln ausgenommen werden sollen, wie es mitunter für große Geister oder stark erregbare Naturen oder Menschen von ungewöhnlicher Klugheit und Selbstbeherrschung gefordert worden ist«. (Sidgwick 2003, 109)
Man kann abschließend sagen, dass Sidgwick das Regelsystem und nicht die einzelne Handlung in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, um das Glücksstreben daran zu [45] orientieren: »Innerhalb der von der Moral gesteckten Grenzen wird er [der Utilitarist] versuchen, so viel Glück als möglich für sich und andere menschliche Wesen« zu realisieren. (Sidgwick 2003, 118) Sidgwick geht mithin bereits den Weg vom Handlungsutilitarismus zum Regelutilitarismus.
Regelutilitarismus
Diesen Weg hatte nach Ansicht von James O. Urmson John Stuart Mill schon beschritten. Urmson stellt Mill in seiner Interpretation als Regelutilitaristen vor und meint, Mill sei von anderen Interpreten missverstanden worden. Was ist ein Regelutilitarist? Ein Regelutilitarist bezieht das utilitaristische Prinzip nicht auf die einzelne Handlung, sondern auf die Handlungsregeln. Es solle beispielsweise geprüft werden, ob die moralische Regel, Versprechen zu halten, zu guten Konsequenzen führt, letztlich zur Glücksvermehrung. Davon kann man nicht nur allgemein ausgehen, sondern auch in unserem konkreten Fall. Wenn A seinem Freund B bei der Steuererklärung hilft, kann dieser sie pünktlich am nächsten Tag abgeben. Durch die kompetente Hilfe von A hat B ein gutes Gefühl. A hat zur Glücksvermehrung von B beigetragen. Zu vermuten ist, dass sein Handeln zudem sein eigenes Wohlergehen gesteigert hat: durch sein dadurch erzeugtes gutes Gewissen.
Urmson will in seinem 1953 publizierten Aufsatz zeigen, dass bereits John Stuart Mill ein Regelutilitarist war. Im Grunde ist Urmson selbst einer der Begründer des Regelutilitarismus. Sich auf Mill
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