Ethik: Grundwissen Philosophie
beziehend, stellt er vier Thesen auf, die die Position seines Regelutilitarismus kennzeichnen:
»1. Eine einzelne Handlung ist als richtig gerechtfertigt, wenn man zeigen kann, daß sie mit einer moralischen Regel übereinstimmt. Sie erweist sich als falsch, wenn man zeigen kann, daß sie eine moralische Regel verletzt.
[46] 2. Eine moralische Regel erweist sich als korrekt, wenn man zeigen kann, daß die Anerkennung dieser Regel das letzte Ziel befördert.
3. Moralische Regeln können nur im Hinblick auf Angelegenheiten gerechtfertigt werden, in denen das allgemeine Wohlergehen mehr als geringfügig betroffen ist.
4. Dort, wo keine moralische Regel anwendbar ist, stellt sich die Frage der Richtigkeit oder Falschheit bestimmter Handlungen nicht, doch kann der Wert der Handlungen auf andere Weise beurteilt werden.« (Urmson 2003, 126ff.)
Wir finden hier den Satz von Sidgwick ausgeführt, dass der Regelutilitarist innerhalb der Grenzen der Moral so viel Wohlergehen wie möglich für sich und andere realisieren soll. »Innerhalb der Grenzen der Moral« bedeutet, dass die moralischen Regeln bei Handlungsentscheidungen Berücksichtigung finden müssen. Doch zugleich werden die Handlungskonsequenzen in den Blick genommen: »Eine Lüge als Ausnahme von der Regel, die Wahrheit zu sagen, ist nur dann zulässig, wenn die Lüge einen größeren Schaden verhindert.« (Pauer-Studer 2003, 41) Eine solche Überlegung liegt dem Handlungsutilitarismus ebenfalls zugrunde. Insofern muss man Bernard Williams recht geben, wenn er keinen großen Unterschied zwischen Handlungs- und Regelutilitarismus sieht. (Vgl. Williams 1978, 102 und 1979, 86)
Präferenzutilitarismus
Jeder Mensch hat Präferenzen, die in Entscheidungssituationen gegeneinander abgewogen werden müssen. Richard Mervyn Hare (1919–2002) nennt folgendes Beispiel: Jemand hat sein Fahrrad an einer Stelle abgestellt, an der man selbst sein Auto parken möchte. Als Autofahrer weiß man, dass der andere nicht wünscht, dass man das Fahrrad zur Seite rückt. Man hat als Autofahrer dennoch weiterhin den Wunsch, das Fahrrad zur Seite zu stellen, um sein Auto parken zu können. [47] »Dieser letztere Wunsch bleibt infolge seiner größeren Stärke Sieger.« (Hare 1992, 170) Nun stelle man sich die Situation umgekehrt vor. Man hat selbst den Wunsch, dass das eigene Fahrrad nicht zur Seite gerückt wird, und erkennt in der Situation den stärkeren Wunsch des anderen, das Auto parken zu können. »Der letztere Wunsch wird der stärkere sein. Und somit werde ich in dieser anderen Situation der Überzeugung sein, daß das Fahrrad zur Seite gerückt werden sollte.« (Hare 1992, 171) Und Hare resümiert: »In beiden Fällen ist eben der Wunsch des Fahrradbesitzers, daß es gelassen wird, wo es ist, schwächer als der Wunsch des Autobesitzers, sein Auto parken zu können.« (Hare 1992, 171) Wie kommt Hare zu diesem Ergebnis?
Immer müssen zwei Präferenzen gegeneinander abgewogen werden. Dies geschieht in einem zweistufigen Modell: Hare ist der Auffassung, dass man das, was man zunächst intuitiv als richtig erkannt hat, vor den Richterstuhl des kritischen moralischen Denkens, das unterordnende Kraft hat, stellen muss. (Vgl. Hare 1992, 103f.) Das moralische Denken soll es uns ermöglichen, diese Situation unparteiisch zu bewerten, uns in die Lage desjenigen zu versetzen, der andere Präferenzen hat als wir selbst, sodass wir zwischen den verschiedenen Präferenzen abwägen können. Somit wird klar, dass die Präferenz des Autofahrers schwerwiegender ist als die des Fahrradbesitzers. An dieser Art des Vorgehens ist zu erkennen, dass Hare mit gutem Recht auch als Begründer des Regelutilitarismus genannt wird. Er unterwirft die Entscheidung einer moralischen Regel, die auf die Folgen abstellt. Die Regel lautet: Es muss zugunsten der objektiv schwerwiegenderen Präferenzen entschieden werden. Auch als Präferenz-utilitarist wird Hare zu Recht bezeichnet. Als Vertreter dieser spezifischen Form des Präferenzutilitarismus kann Hare selbstverständlich der Auffassung sein, dass zwischen Deontologie und Utilitarismus keine so tiefe Kluft besteht, wie auf den ersten Blick anzunehmen war. »Es besteht«, sagt Hare sogar weitergehend, »eine sehr enge Beziehung [48] zwischen Benthams ›Jeder zähle als einer, keiner mehr als einer‹ und Kants ›Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.‹« (Hare 1992, 43)
Bekannt
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