Ethik: Grundwissen Philosophie
sein und unkenntlich sein. Wer für den Kommunismus kämpft, hat von allen Tugenden nur eine: daß er für den Kommunismus kämpft.« (Brecht, zit. nach Semprún 1981, 81) Sören Kierkegaard argumentiert in einer ähnlichen Weise, wenn er Abrahams Geschichte der Opferung seines Sohnes Isaak auf Anordnung Gottes dahingehend interpretiert, dass die moralischen Pflichten zugunsten religiöser Gebote außer Kraft gesetzt werden. Indem Abraham dem Befehl Gottes folgte, konnte er mit seinem Griff zum Messer gar kein Mörder werden. Dabei war die versuchte Kindstötung ein mehrfacher Verstoß gegen moralische Regeln. Doch wir müssen Gottes »Anordnungen immer, bedingungslos, also nicht unter der Bedingung, dass sie moralisch akzeptabel sind, gehorchen« (Schröder, 2005, 106). Auch im »Neuen Testament wird Abrahams Tötungsbereitschaft mehrmals nachdrücklich als Vorbild gottgefälligen Gehorsams ausgezeichnet« (Schröder 2005, 91). Wilfried Schröder fährt fort: »Aus jüngster Zeit stammt eines der spektakulärsten Beispiele einer Berufung auf das ›Vorbild Abraham‹: das [84] Testament des Selbstmordattentäters Mohamad Atta, der seinen Gehorsam gegenüber dem göttlichen Befehl am 11. September 2001 in Manhattan unter Beweis stellte.« (Schröder 2005, 74)
Dies sind neue und bedenkenswerte Erklärungen des radikal Bösen, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, die in die Richtung gehen, das radikal Böse als die vollständige Außerkraftsetzung der Moral zu interpretieren, an deren Stelle eine gänzlich neue Ordnung tritt – eine Ideologie oder Religion: Den Geboten und Befehlen der Mullahs, eines Gottes, eines Führers oder Diktators beziehungsweise Generalsekretärs der kommunistischen Partei ist unbedingt Folge zu leisten, selbst wenn das moralischen Geboten widerspricht. Wir finden dieses Muster immer schon in vielen Märchen bis hin zur neuesten Kinderliteratur, wenn beispielsweise in dem 2006 erschienenen Roman
Prügelknabe
der Abt und der Herzog die Moralordnung missachten und stattdessen ihre absolutistische Herrschaft mit eigenen unergründlichen Regeln durchsetzen. (Vgl. Frey 2006) Doch selbst in Märchen und Kinderromanen funktioniert das nicht auf Dauer.
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Beispiele für angewandte Ethik
Zurück zum richtigen moralischen Handeln. Wenn man sich der angewandten Ethik zuwendet, sieht man, wie viel im Alltag der moralischen Reflexion bedarf. Die unübersehbare Flut von moralischen Problemen, die sich in der heutigen Zeit stellen, kann in einer Publikation wie dieser freilich nicht abgehandelt werden. Deshalb werden drei Beispiele vorgestellt, die aus verschiedenen Bereichen stammen und ganz unterschiedlich zu behandeln sind, doch exemplarisch sein können für eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle. Neuerdings müssen wir moralische Entscheidungen auf Gebieten treffen, die uns vor einigen Jahren oder Jahrzehnten noch völlig unbekannt waren: Embryonenforschung, Invitrofertilisation, Genpatentierung, Sterbehilfe, Pränataldiagnostik, Präimplantationsdiagnostik, Bestattungskultur, Umgang mit behinderten Menschen etc. Bedingt durch die zunehmende Globalisierung, stellen sich darüber hinaus die Fragen nach der Beseitigung der Armut in der Welt und nach dem Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen, die bei uns leben.
Gemeinhin wird die angewandte Ethik nach Bereichen gegliedert. So fallen beispielsweise Embryonenforschung, Invitrofertilisation, Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik und Sterbehilfe in den Bereich der Medizinethik, während das Problem der Genpatentierung in den Bereich der Genethik fällt. Zum Bereich der politischen Ethik gehören die Probleme der Armut in der Welt und der Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen.
Zunächst ein Beispiel, das die Relevanz der Sachinformationen für moralische Entscheidungen verdeutlicht. Diese Sachinformationen sind bisweilen erforderlich, um ein Problem als moralisches überhaupt erkennen zu können. Doch Sachinformationen braucht man auch noch weitergehend. [86] Das soll in den beiden folgenden, ausführlicher dargestellten Problemkomplexen gezeigt werden. Bei diesen beiden Fällen ist es im Gegensatz zur Genpatentierung auf den ersten Blick klar, dass es sich um moralische Probleme handelt. Doch auch hier ist jeweils eine Fülle von Sachinformationen Voraussetzung für die Möglichkeit, eine moralische Entscheidung richtig zu treffen. Festzuhalten ist also, dass zum moralischen Wissen immer auch das epistemische
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