Etwas Endet, Etwas Beginnt
explodierten. Eines Schmerzes, den sie mit Genuss annahm.
Die Frau Doktor, die in einem Sessel in der Mitte eines Pentagramms saß, das einem Kreis eingeschrieben war, beide mit Kreide auf den Fußboden gezeichnet, nahm die Hände von den Schläfen, riss die Arme in einer heftigen Geste empor. Der glühende, ratternde Ofen heulte auf, begann zu brüllen, gegen die Scheiben prallten Wolken von Nachtinsekten.
»Deeeeskaaaath!«
Die Ofentüren sprangen krachend auf, die Feuerstätte verströmte Glut und Rauch, brennende Kohlen prasselten auf das Blech und die Dielenbretter wie Kartätschen, sprühten Funken.
Aus dem Feuer schoss wie eine Kugel ein nackter kleiner Junge. Er taumelte, überschlug sich, stand auf, wankte auf dicken, unsicheren Beinchen. Seine Haut war von rissigen, grauen Brandspuren bedeckt. Die einzige Strähne dünnen Haars auf dem kahlen Kopf wogte als rußende Flamme hin und her.
»Deskath«, sagte die Frau Doktor.
Der Junge verströmte Rauch, während er inmitten der auf dem Boden verstreuten Kohlen stand.
»Deskath«, wiederholte sie. »Du bist da …«
»Ich bin da«, erwiderte der kleine Junge undeutlich mit zahnlosem Munde. »Wie hat dir mein Auftritt gefallen, Alte? Das macht immer Eindruck, nicht wahr? Weckt gewisse Erinnerungen. Weißt du noch?«
»Genug«, zischte die Frau Doktor.
Der sehr magerere, in Schwarz gekleidete junge Mann, der plötzlich an Stelle des brennenden Kindes erschien, lächelte und ließ dabei lange, spitze Zähne sehen.
»Bin ich dir in dieser Gestalt lieber? Bitte, da bin ich. Also, Hexe, zur Sache. Du hast mich zum unpassendsten Zeitpunkt gerufen. Du hast mich bei etwas ungeheuer Wichtigem gestört. Ich glaube, ich habe dir schon einmal angekündigt, was geschieht, wenn du mich störst. Wenn du es noch einmal wagst, dich mir in den Weg zu stellen.«
»Ich werde mich dir immer in den Weg stellen, Deskath.«
»Nein«, sagte er. »Wirst du nicht. Zu spät. Heute Nacht wird der Flammende wiedergeboren werden, in einer Lawine von Feuer, so, wie du es gerade eben gesehen hast. Alles ist schon vorbereitet. Dachtest du, diese elenden paar Dutzend Jahre würden genügen, dass man mich vergäße? Du hast dich getäuscht. Es gibt welche, die niemals vergessen. Die Erinnerung überdauert die Generationen.«
Neue Insektenschwärme stießen gegen die Scheiben, überzogen sie mit einer dicken, wimmelnden Schicht.
»Du wirst dich mit der Tatsache abfinden müssen, Weib«, fuhr der junge Mann fort, während er langsam um den Kreis ging, in dessen Mitte die Frau Doktor saß. »Du kannst nichts machen. Dir hilft weder dein Kreidezeichen noch die dilettantische Übersetzung des weisen Buches. Zu spät.«
»Es ist niemals zu spät«, sagte die Frau Doktor langsam. »Schau, Deskath.«
Sie hob die linke Hand und ließ ein Bernsteinamulett an einer Kette sehen, die eng um den Handteller geschlungen war.
Die Augen des jungen Mannes verengten sich. »Dreck«, sagte er. »Warum bringst du das nicht in die Stadt und verkaufst es auf dem Flohmarkt? Vielleicht hast du auch noch ein Kruzifix, was? Weihwasser? Du bringst mich zum Lachen, Hexe.«
»Bei Luft und Wasser«, sprach die Frau Doktor langsam. »Bei Weiden und Röhricht. Deskath! Kehre zurück an den Grund des Morasts. Kehre zurück in den Abgrund, der dich ausgespien hat. Versinke wieder im Sumpf, im Tümpel, in der Tiefe.«
»Worte, Worte, Worte«, sagte der junge Mann. Er näherte sich dem Kreis und überschritt ihn, stand lächelnd vor der Alten. »Worte, die schon vor langer Zeit Kraft und Bedeutung verloren haben, noch ehe die Eisenbahn begann, durch unser Tal zu fahren. Nichts ist geblieben von deiner früheren Kraft, Weib. Du gehst nicht mit der Zeit.«
»Du bist es, der seine Kraft überschätzt, Deskath.«
»Glaubst du? Das werden wir gleich sehen. Ich werde dich nicht töten, o nein. Ich werde dir nur beide Arme brechen. In deinem Alter heilen die Brüche schwer. Man wird dir die Arme bis zur Achsel eingipsen, und der Gips wird kalt sein, sehr kalt. Und dann, wenn das Fieber dich erfasst, werde ich dich im Krankenhaus besuchen. Ich werde durch die Nadeln des Tropfs, die in deine verkalkten Adern gestochen sind, in dich eindringen. Dann werden wir über die alten Zeiten sprechen. Und Bildchen anschauen. Gehen wir also an die Arbeit. Ich habe es eilig. Dort zwischen den Erlen erwartet mich ein wunderbares aschblondes Geschöpf, das mir nachts Lieder gesungen hat. Ich darf sie nicht warten lassen, das wäre
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