Etwas Endet, Etwas Beginnt
Tatsache. »Ich habe hier auf dich gewartet, Ritter.«
Aha. Sie hatte auf mich gewartet. Das sah interessant aus, denn ich hatte keine Ahnung, wer sie war. Und hatte nicht erwartet, auf diesem Strand jemandem zu begegnen, der auf mich warten mochte. So kam es mir jedenfalls vor.
»Also«, sagte sie und wandte mir das Gesicht zu, das Ruhe und Kälte verströmte, »reiten wir, Ritter. Ich bin Branwen von Cornwall.«
Sie war nicht aus Cornwall. Sie war auch keine Bretonin.
Es gibt Gründe, weshalb ich mich manchmal nicht an das erinnere, was selbst vor kurzer Zeit geschehen ist. Mitunter habe ich schwarze Lücken in der Erinnerung. Dann wiederum erinnere ich mich an Ereignisse, von denen ich mir fast sicher bin, dass sie nicht stattgefunden haben. Seltsame Dinge geschehen manchmal mit meinem Kopf. Manchmal täusche ich mich. Aber den irischen Akzent, den Akzent von Tara und den Temair-Höhen, könnte ich mit keinem anderen verwechseln. Niemals.
Ich hätte ihr das sagen können. Doch ich sagte es nicht.
Ich neigte den Helm, berührte mit dem Panzerhandschuh das Kettenhemd auf der Brust. Ich stellte mich nicht vor. Ich hatte das Recht, mich nicht vorzustellen. Der umgedrehte Schild neben meinem Knie war ein deutliches und respektiertes Zeichen, dass ich inkognito bleiben wollte. Der Ritterbrauch begann schon ernstlich, Züge einer allgemein anerkannten Norm anzunehmen. Das war durchaus keine besonders gesunde Erscheinung, wenn man bedachte, dass der Ritterbrauch immer törichter und absonderlicher wurde.
»Reiten wir«, wiederholte sie.
Sie lenkte ihr Pferd hinab zwischen die gewellten Dünen, auf denen Gräser standen wie Bartstoppeln. Ich folgte ihr, holte sie ein; wir ritten Seite an Seite. Gelegentlich schob ich mich sogar nach vorn – ein unbeteiligter Beobachter hätte glauben können, dass ich es sei, der sie führte. Es kümmerte mich nicht. Die Richtung schien alles in allem zu stimmen.
Denn hinter uns lag das Meer.
Wir unterhielten uns nicht. Branwen, die aus Cornwall stammen wollte, wandte mir mehrmals das Gesicht zu und machte den Eindruck, als würde sie gern etwas fragen. Doch sie fragte nicht. Ich war ihr dankbar. Ich fühlte, dass ich nur zu sehr wenigen Antworten imstande war. Soschwieg ich ebenfalls und dachte nach – soweit man den Vorgang so nennen kann, bei dem ich die in meinem Kopfe umherschwirrenden Bilder und Tatsachen mühsam in eine sinnvolle Ordnung brachte.
Ich fühlte mich schlecht. Richtig schlecht.
Aus den Gedanken rissen mich ein erstickter Schrei Branwens und der Anblick einer gezähnten Spitze direkt vor meiner Brust. Ich hob den Kopf. Die Spitze gehörte zu einem Spieß, den ein Kerl in einer gehörnten Narrenkappe und einem löchrigen Kettenpanzer hielt. Ein zweiter, mit einer widerwärtigen, mürrischen Visage, hielt Branwens Pferd an der Trense. Der dritte, der ein paar Schritt hinter ihnen stand, zielte mit einer Armbrust auf mich. Ich kann es nicht leiden, wenn man mit der Armbrust auf mich zielt. Wenn ich, verdammt, der Papst wäre, würde ich die Herstellung von Armbrüsten bei Strafe der Exkommunikation verbieten.
»Ruhig, Ritter«, sagte der mit der Armbrust, während er mir direkt auf die Kehle zielte. »Ich werde dich nicht töten. Wenn ich nicht muss. Aber wenn du das Schwert anfasst, muss ich.«
»Wir brauchen was zu fressen, warme Kleidung und ein bisschen Kleingeld«, erklärte der Mürrische. »Euer Blut wollen wir nicht.«
»Wir sind keine Wilden«, sprach der mit der lächerlichen Mütze. »Wir sind solide, ordentliche Räuber. Wir haben unsere Prinzipien.«
»Sicherlich nehmt ihr von den Reichen und gebt den Armen?«, erkundigte ich mich.
Der mit der komischen Mütze grinste breit, bis zu den Ohren. Er hatte schwarze, glänzende Haare und das dunkle Gesicht eines Südländers, von mehrtägigen Bartstoppeln bedeckt.
»So weit reicht unsere Solidität nicht«, sagte er. »Wirnehmen von allen, wie’s gerade kommt. Aber da wir selber arm sind, läuft’s auf dasselbe hinaus. Graf Orgellis hat uns entlassen, die Gefolgschaft aufgelöst. Bis wir bei jemand anderem in den Dienst treten, müssen wir leben, meinst du nicht?«
»Wozu sagst du ihm das, Bec de Corbin?«, ließ sich der Mürrische vernehmen. »Warum entschuldigst du dich vor ihm? Der macht sich doch lustig über uns. Er will uns beleidigen.«
»Darüber bin ich erhaben«, sagte Bec de Corbin stolz. »Das überhöre ich. Also, Ritter, lass uns keine Zeit verlieren. Mach die
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