Etwas Endet, Etwas Beginnt
an die Ohren. So blieb er stehen, bis er am Arm eine Berührung spürte. Er zitterte heftig, am ganzen Körper, als hätte ihn jemand in die Genitalien geschlagen.
»Es ist vorbei«, sagte Visenna und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich hatte gefragt, wie es mit deinen Nerven steht.«
»Was für ein Tag«, stöhnte Korin. Er hob das Schwert auf, schob es in die Scheide, bemüht, nicht in Richtung des nun schon reglosen Leichnams zu blicken. »Visenna?«
»Ja?«
»Lass uns hier weggehen. Möglichst weit fort von diesem Ort.«
II
Sie ritten zu zweit auf Visennas Pferd einen Waldweg entlang, der zugewachsen und uneben war. Sie vorn, im Sattel, Korin auf der Kruppe, hinter ihr, die Arme um ihre Taille geschlungen. Visenna hatte es sich längst angewöhnt, sich ohne Skrupel an den kleinen Annehmlichkeiten zu erfreuen, die das Schicksal sporadisch bot; also lehnte sie sich zufrieden gegen die Brust des Mannes. Beide schwiegen.
Als Erster rang sich nach fast einer Stunde Korin durch: »Visenna.«
»Was ist?«
»Du bist nicht nur Heilerin. Du bist vom Kreis?«
»Ja.«
»Nach dieser … Vorführung zu urteilen, eine Meisterin?«
»Ja.«
Korin ließ ihre Taille los und hielt sich am Sattelknauf fest. Visenna kniff wütend die Augen zusammen. Er sah es natürlich nicht.
»Visenna?«
»Was ist?«
»Hast du etwas von dem verstanden, was die … was das … gesagt hat?«
»Nicht viel.«
Wieder schwiegen sie. Ein buntgefiederter Vogel, der über ihnen durchs Laub flog, schrie laut.
»Visenna?«
»Korin, tu mir einen Gefallen.«
»Hm?«
»Hör auf zu reden. Ich will nachdenken.«
Der Waldweg führte sie geradezu hinab in eine Schlucht, ins Bett eines flachen Baches, der träge zwischen Steinen und schwarzen Baumstämmen dahinrann. Es roch durchdringend nach Minze und Brennnesseln. Das Pferd glitt hin und wieder auf den Steinen aus, auf denen sich Lehm und Schlick abgesetzt hatten. Um nicht herunterzufallen, fasste Korin wieder Visennas Taille. Er verscheuchte den aufdringlichen Gedanken, dass er sich schon zu lange allein in Wäldern und auf Landstraßen herumtreibe.
III
Die Siedlung war ein typisches Straßendorf, an den Berghang geschmiegt, Hütten von Stroh und Holz, schmutzig, zwischen krumme Zäune geduckt. Als sie näher ritten, begannen Hunde zu kläffen. Visennas Pferd trottete ruhig mitten auf der Straße voran und beachtete die eifrigen Köter nicht, die ihre schaumbedeckten Schnauzen nach seinen Fesseln ausstreckten.
Anfangs sahen sie niemanden. Dann erschienen hinter den Zäunen hervor, von den Pfaden, die zu den Gehöften führten, die Einwohner – sie kamen langsam heran, barfuß und finster dreinblickend. Sie trugen Mistgabeln, Stangen und Dreschflegel. Jemand bückte sich und hob einen Stein auf.
Visenna zügelte das Pferd, hob eine Hand. Korin sah, dass sie darin ein kleines goldenes Messerchen hielt, wie eine Sichel geformt.
»Ich bin Heilerin«, sagte sie deutlich und klangvoll, aber keineswegs laut.
Die Bauern ließen die Waffen sinken, begannen zu murmeln, wechselten Blicke. Es wurden immer mehr. Ein paar von den am nächsten Stehenden nahmen die Mützen ab.
»Wie heißt diese Siedlung?«
»Schlüssel«, erklang es nach kurzem Schweigen aus der Menge.
»Wer ist euer Oberster?«
»Topin, gnädige Herrin. Dort, die Hütte.«
Ehe sie sich in Bewegung setzten, drängte sich durchs Spalier der Landleute eine Frau mit einem Säugling auf dem Arm. »Herrin …«, stöhnte sie und berührte zaghaft Visennas Knie. »Das Töchterchen … Es ist ganz heiß vor Fieber …«
Visenna sprang aus dem Sattel, berührte das Köpfchen des Kindes, schloss die Augen.
»Morgen wird sie gesund sein. Wickle sie nicht so warm ein.«
»Danke, gnädige … Tausend Dank …«
Topin, der Dorfälteste, stand schon auf dem Vorhof und überlegte gerade, was er mit der Mistgabel machen sollte, die er bereithielt. Schließlich schob er damit den Hühnerdreck von der Treppe.
»Verzeiht«, sagte er und stellte die Gabel unters Vordach der Hütte. »Herrin. Und Ihr, gnädiger Herr. Die Zeiten sind so unsicher … Tretet bitte ein. Lasst Euch bewirten.«
Sie gingen hinein.
Topins Frau, zwei sich an ihren Rock klammernde strohblonde Mädchen im Schlepptau, servierte Rührei, Brot und Sauermilch, worauf sie in der Kammer verschwand. Im Unterschied zu Korin aß Visenna wenig, saß missmutig und still da. Topin rollte mit den Augen, kratzte sich an verschiedenen Stellen
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