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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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sagte der Mann, während er sich leicht streckte, um ihr das Abwickeln des Stoffes zu erleichtern. »Ein hübscher Name. Hat dir schon jemand gesagt, Visenna,dass du schöne Haare hast? Das nennt man kupferfarben, nicht wahr?«
    »Nein. Rotblond.«
    »Aha. Wenn du fertig bist, werde ich dir einen Strauß Lupinen schenken, da, die dort im Graben wachsen. Und während der Operation werde ich dir erzählen, einfach nur so zum Zeitvertreib, was mir widerfahren ist. Ich bin, weißt du, denselben Weg wie du gekommen. Ich sehe, da steht am Kreuzweg ein Pfahl. Ja, der hier. An dem Pfahl ist ein Brett befestigt. Das tut weh.«
    »Die meisten Wunden haben diese sonderbare Eigenschaft.« Visenna riss die letzte Schicht Stoff ab, ohne besonders behutsam zu sein.
    »Stimmt, hatte ich vergessen. Wo war ich   … Ach ja. Ich komme heran, sehe, was auf dem Brett steht. Schrecklich ungelenk, ich kannte mal einen Bogenschützen, der konnte hübschere Buchstaben in den Schnee pinkeln. Ich lese   … Und was soll das sein, mein Fräulein? Was ist das für ein Stein? Oh, verdammt. Das hatte ich nicht erwartet.«
    Visenna strich mit dem Hämatiten langsam über die Wunde. Die Blutung hörte sofort auf. Sie schloss die Augen und umfasste den Arm des Mannes mit beiden Händen, drückte die Wundränder kräftig zusammen. Sie ließ los   – das Gewebe war zusammengewachsen, nur eine gezackte scharlachrote Linie war geblieben.
    Der Mann schwieg und schaute aufmerksam hin. Schließlich hob er vorsichtig den Arm, streckte ihn, rieb über die Narbe, schüttelte den Kopf. Er zog den blutigen Hemdstreifen und das Wams zurecht, stand auf, hob vom Boden den Gürtel mit dem Schwert, der Geldkatze und der Feldflasche auf. Die Gürtelschnalle hatte die Form eines Drachenkopfes.
    »Ja, das nennt man Glück haben«, sagte er, ohne denBlick von Visenna zu wenden. »Ich habe eine Heilerin getroffen, mitten in der Wildnis, am Zusammenfluss von Ina und Jaruga, wo man für gewöhnlich eher einen Werwolf trifft oder, noch schlimmer, einen betrunkenen Holzfäller. Was ist mit der Bezahlung für die Heilung? Im Moment bin ich knapp bei Kasse. Wird ein Strauß Lupinen ausreichen?«
    Visenna ignorierte die Frage. Sie trat näher an den Pfahl, hob den Kopf   – das Brett war in Augenhöhe eines Mannes angenagelt.
    »›Du, der du von Westen kommst‹«, las sie laut. »›Gehst du nach links, kehrst du zurück. Gehst du nach rechts, kehrst du zurück. Gehst du geradeaus, kehrst du nicht zurück.‹ Unsinn.«
    »Genau das habe ich auch gedacht«, sagte der Mann, während er sich Tannennadeln von den Hosenbeinen klopfte. »Ich kenne diese Gegend. Geradeaus, also nach Osten, kommt man zum Klamat-Pass, auf den Händlerweg. Warum sollte man von dort nicht zurückkehren können? So hübsche Mädchen, die heiraten wollen? Billiger Schnaps? Eine freie Stelle als Bürgermeister?«
    »Du schweifst ab, Korin.«
    Der Mann sperrte aufs Höchste erstaunt den Mund auf. »Woher weißt du, dass ich Korin heiße?«
    »Du hast es selber eben erst gesagt. Erzähl weiter.«
    »Ja?« Der Mann musterte sie misstrauisch. »Wirklich? Na, kann sein   … Wo war ich stehengeblieben? Aha. Ich lese also und frage mich, was für ein Trottel sich diese Aufschrift ausgedacht hat. Plötzlich höre ich hinterm Rücken jemanden plappern und murmeln. Ich blicke zurück und sehe ein altes Mütterchen, grauhaarig, krumm, mit einem Stock, klar doch. Ich frage höflich, was sie hat. Sie murmelt: ›Hunger hab ich, liebes Ritterchen, hab seit dem Morgen nichts zu beißen gekriegt.‹ Ich denk, also hat dieOma mindestens noch einen Zahn. Ich bin mächtig gerührt, also nehme ich aus dem Knappsack ein Stück Brot und die Hälfte von der geräucherten Brasse, die ich von Fischern an der Jaruga bekommen habe, und gebe beides der Alten. Die setzt sich hin, kaut vor sich hin, krächzt, spuckt Gräten aus. Ich schaue mir weiter diesen seltsamen Wegweiser an. Plötzlich lässt sich die Alte hören: ›Bist ’n guter Kerl, Ritterchen, hast mich gerettet, sollst ’ne Belohnung kriegen.‹ Ich wollte ihr Bescheid geben, wo sie sich ihre Belohnung hinstecken kann, aber da sagt die Oma: ›Komm näher, ich hab dir was ins Ohr zu flüstern, ein wichtiges Geheimnis, wie du viele gute Leute vor dem Unheil bewahren, Ruhm und Reichtum erlangen kannst.‹«
    Visenna seufzte, setzte sich neben den Verwundeten. Er gefiel ihr, groß, blond, mit schmalem Gesicht und ausgeprägtem Kinn. Er stank nicht wie die meisten

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