Etwas Endet, Etwas Beginnt
Männer, denen sie begegnet war. Sie verscheuchte den aufdringlichen Gedanken, dass sie sich schon zu lange allein in Wäldern und auf Landstraßen herumtreibe.
Korin fuhr in seiner Erzählung fort: »Ha, dachte ich mir, da hat sich eine klassische Gelegenheit ergeben. Wenn die Oma keine Sklerose hat und noch alle Tassen im Schrank, dann ist das vielleicht wirklich von Nutzen für einen armen Krieger. Ich beuge mich herab, recke das Ohr hin wie der letzte Idiot. Und wenn meine Reflexe nicht funktioniert hätten, hätte es mich direkt in die Gurgel getroffen. Ich sprang zurück, das Blut sprudelte mir aus dem Arm wie aus einer Schlossfontäne, die Alte aber fuchtelt mit dem Messer, heult, prustet und spuckt. Ich dachte immer noch nicht, dass die Sache ernst ist. Ich ging auf Tuchfühlung, um ihr den Vorteil zu nehmen, und merke, das ist überhaupt kein altes Weib. Brüste, fest wie Feuerstein …«
Korin schielte zu Visenna herüber, um festzustellen, ob sie rot geworden war. Visenna hörte mit einem höflichinteressierten Gesichtsausdruck zu.
»Wo war ich … Aha. Ich dachte, ich werfe sie um und entwaffne sie, aber von wegen. Stark wie ein Luchs. Ich merke, dass mir gleich ihre Hand mit dem Messer aus dem Griff rutschen wird. Was sollte ich machen? Ich habe sie fortgestoßen, das Schwert raus … Sie ist selber hineingelaufen.«
Visenna saß schweigend da, die Hand an der Stirn, als rücke sie in Gedanken versunken das Stirnband aus Schlangenhaut zurecht.
»Visenna? Ich sag’s, wie es war. Ich weiß, dass das eine Frau war, und komme mir dumm vor, aber ich will krepieren, wenn das eine normale Frau war. Gleich nachdem sie gefallen war, verwandelte sie sich. Sie wurde jünger.«
»Eine Illusion«, sagte Visenna nachdenklich.
»Was?«
»Nichts.« Visenna stand auf, ging zu der Leiche, die im Farngestrüpp lag.
»Schau nur.« Korin trat neben sie. »Ein Weib wie eine Statue an der Schlossfontäne. Aber sie war krumm und runzlig wie der Hintern einer hundertjährigen Kuh. Dass doch …«
»Korin«, unterbrach ihn Visenna. »Hast du starke Nerven?«
»Hä? Was haben denn meine Nerven damit zu tun? Aber wenn es dich interessiert – ich kann nicht klagen.«
Visenna nahm das Stirnband ab. Der Edelstein in dem Diadem erstrahlte in milchigem Lichtschein. Sie stellte sich vor die Leiche, streckte die Hände aus, schloss die Augen. Korin schaute mit halboffenem Munde zu. Visenna neigte den Kopf, flüsterte etwas, was er nicht verstand.
»Grealghane!«, rief sie plötzlich.
Das Farnkraut bewegte sich heftig. Korin sprang zurück, zog das Schwert, erstarrte in Verteidigungsposition. Die Leiche begann zu zucken.
»Grealghane! Sprich!«
»Aaaaaaa!«, ertönte vom Farnkraut her ein anschwellendes heiseres Brüllen. Die Leiche krümmte sich, levitierte beinahe, wobei sie mit Rücken und Hinterkopf den Boden berührte. Das Brüllen klang ab, begann sich aufzulösen, ging in ein kehliges Stammeln über, in abgehackte Seufzer und Schreie, die allmählich an Tonfülle gewannen, aber absolut unverständlich waren. Korin spürte auf dem Rücken ein kaltes Rinnsal von Schweiß, das ihn irritierte wie eine kriechende Raupe. Er ballte die Fäuste, um das Kribbeln in den Händen zu unterdrücken, und kämpfte mit ganzer Kraft gegen den übermächtigen Drang an, in die Tiefe des Waldes zu fliehen.
»Oggg … nnnn … nngammmmm«, stammelte die Leiche, während sie mit den Fingernägeln den Boden aufkratzte und aus dem Mund blutige Blasen hervorstieß, die auf den Lippen platzten. »Nam … eeeggg …«
»Sprich!«
Aus den ausgestreckten Händen Visennas sickerte ein trüber Strom von Licht, in dem der Staub wirbelte und sich zusammenballte. Aus dem Farnkraut schossen trockene Blättchen und Halme empor. Der Leichnam verschluckte sich, begann zu schmatzen und plötzlich zu sprechen. Durchaus verständlich.
»… Kreuzweg sechs Meilen von der Quelle nach Süden. Höchstens. Sch… schickte. Dem Kreis. Einen Burschen. Schla…chchch… Eeen. Befohlen.«
»Wer?!«, schrie Visenna. »Wer hat befohlen? Sprich!«
»Fffff … ggg … genal. Alle Briefe, Blätter, Ringe, Amu…lette.«
»Sprich!«
»…pass. Der Knoch. Ge…nal. Briefe wegnehmen. Per…gamente. Er kommt von Maaaaaa! Eeeeeeee! Naaaaaaa!!!«
Die stammelnde Stimme begann zu vibrieren, in einem entsetzlichen Gebrüll zu zerfließen. Korin hielt es nicht aus, er ließ das Schwert fallen, schloss die Augen und presste die Hände
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