Eulen
Roy und ließ sich auf sein Kissen sinken. »Gute Nacht, Mom.«
Im Grunde hatte sie die Frage ja schon beantwortet. Alles, was er tun musste, war, die Diskussion zwischen seinem Herzen und seinem Kopf zu entscheiden.
14
Zum Glück war der nächste Tag ein Samstag, und so musste Roy nicht früh aufstehen, um den Schulbus zu erwischen.
Als er sich gerade zum Frühstück hingesetzt hatte, läutete das Telefon. Es war Garrett. Er hatte noch nie zuvor bei Roy angerufen, aber nun wollte er wissen, ob Roy Lust habe, mit ihm in einem der Einkaufszentren Skateboard zu fahren.
»Ich hab kein Skateboard, das weißt du doch«, sagte Roy.
»Macht nichts. Ich hab zwei.«
»Nein, danke. Heute geht’s bei mir nicht.«
In Wirklichkeit hatte Garrett natürlich nur angerufen, weil er wissen wollte, was mit Dana Matherson passiert war.
»Mann, jemand hat ihn an die Fahnenstange gefesselt!«
»Ich war’s nicht«, sagte Roy. Über dieses Thema konnte er nicht offen vor seinen Eltern reden.
»Wer dann? Und wie ist das passiert?«, wollte Garrett wissen.
»Kein Kommentar«, sagte Roy. Dasselbe hatte Fischfinger gesagt.
»Ach, komm schon, Eberhardt!«
»Bis Montag dann.«
Nach dem Frühstück fuhr ihn sein Vater zum Radladen, um den neuen Reifen abzuholen, und gegen Mittag war Roy wieder mobil. Im Telefonbuch war unter L.B. Leep eine Adresse angegeben und Roy fand das Haus auch problemlos. Es lag in der West Oriole Avenue, wo auch die Bushaltestelle war und er den rennenden Jungen zum ersten Mal gesehen hatte.
In der Einfahrt der Leeps standen ein verbeulter alter Jeep und ein glänzendes neues Cabrio. Roy lehnte sein Rad an den Briefkastenpfosten und ging schnell zum Eingang. Aus dem Haus waren keifende Stimmen zu hören, und Roy hoffte, dass sie aus einem voll aufgedrehten Fernseher kamen.
Nachdem er dreimal kräftig geklopft hatte, schwang die Tür auf und Leon Leep stand vor ihm, die kompletten zwei Meter fünf. Er trug ausgebeulte rote Shorts und ein ärmelloses Netzhemd, das sich über einem blassen Bierbauch dehnte. Leon sah so aus, als hätte er seit seinem Rückzug aus dem Profibasketball keine fünf Minuten mehr im Fitnessraum verbracht. Nur an seiner Größe erkannte man noch, dass er mal Basketballer in der Nationalliga gewesen war.
Roy verlagerte sein Gewicht auf die Fersen, um Leon ins Gesicht sehen zu können.
»Ist Beatrice zu Hause?«, fragte Roy.
»Das schon, aber die hat zu tun.«
»Dauert nur eine Minute. Es ist wegen der Schule«, sagte Roy.
»Schule – ach so«, sagte Leon, als hätte er ganz vergessen, wo seine Tochter fünf Tage die Woche hinging. Mit einem merkwürdigen Grunzen schleppte er sich davon.
Im nächsten Augenblick tauchte Beatrice auf. Sie sah ziemlich genervt aus.
»Kann ich reinkommen?«, fragte Roy.
»Nee«, flüsterte sie, »ist gerade ganz ungünstig.«
»Kannst du denn rauskommen?«
»Auch nicht.« Beatrice schaute ängstlich über die Schulter.
»Hast du gehört, was im Krankenhaus los war?«
Sie nickte. »Tut mir Leid, dass ich nicht rechtzeitig wieder da war, um dir zu helfen.«
»Was ist mit deinem Bruder – geht’s ihm besser?«, fragte Roy.
»Besser als vorher jedenfalls«, sagte Beatrice.
»Wer ist denn da? Wer ist das?«, tönte eine eisige Stimme über den Flur.
»Bloß jemand von der Schule.«
»Ein Junge?«
»Ja, ein Junge«, sagte Beatrice und rollte mit den Augen in Roys Richtung.
Eine Frau, die kaum größer war als Beatrice, tauchte hinter ihr in der Tür auf. Sie hatte eine Adlernase, misstrauisch dreinschauende, stechende Augen und eine wilde kastanienrote Lockenmähne. Aus einer Zigarette zwischen ihren glänzend lackierten Nägeln stieg blauer Rauch auf.
Das konnte nur Lonna sein, Fischfingers Mutter.
»Wer bist du?«, fragte sie.
»Ich heiße Roy.«
»Und was willst du hier, Roy?« Lonna zog hörbar an ihrer Zigarette.
»Es ist wegen der Schule«, sagte Beatrice.
»Heute ist ja wohl Samstag«, sagte Lonna.
Roy machte einen Versuch. »Es tut mir wirklich sehr Leid, dass ich Sie belästige, Mrs. Leep. Aber Beatrice und ich arbeiten zusammen an einem Referat für Biologie und –«
»Heute aber nicht«, schnitt ihm Lonna das Wort ab. »Miss Beatrice wird heute das Haus putzen. Einschließlich Küche. Und Badezimmer. Und bestimmt fällt mir noch was ein.«
Roy hatte den Eindruck, dass Lonna sich auf ziemlich dünnem Eis bewegte. Beatrice war offensichtlich die Stärkere von beiden und sie kochte vor Wut. Wenn Lonna gesehen hätte,
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