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Eulen

Eulen

Titel: Eulen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiassen
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den Kopf. Er versuchte, ein bisschen zu lesen, und griff nach einem Buch, das er aus der Schülerbücherei ausgeliehen hatte. Es war die Geschichte einer Familie, die um 1850 in Florida gelebt hatte, als das Land noch totale Wildnis war. Menschen gab es zu der Zeit kaum dort und die Sümpfe und Wälder waren voller Tiere. Vermutlich eine gute Zeit für Kanincheneulen, dachte Roy.
    Etwas später, als er fast eingeschlafen war, hörte er ein leises Klopfen an der Tür. Es war seine Mutter, die noch einmal hereinschaute, um ihm gute Nacht zu sagen. Sie nahm ihm das Buch aus den Händen und knipste die Nachttischlampe aus. Dann setzte sie sich auf sein Bett und fragte ihn, wie er sich fühle.
    »Kaputt«, sagte Roy.
    Sanft zog sie seine Decke hoch. Obwohl es so viel zu warm war, ließ Roy es geschehen. Das war einfach Moms Art, sie konnte nicht anders.
    »Du weißt, wie lieb wir dich haben, mein Herz«, sagte sie.
    Oh, oh, dachte Roy. Jetzt kommt’s.
    »Aber was du heute Abend gemacht hast, im Krankenhaus, dass du dem anderen Jungen erlaubt hast, deinen Namen zu benutzen, damit er aufgenommen wird –«
    »Das war meine Idee, Mom, nicht seine.«
    »Und ich bin mir auch sicher, dass du es gut gemeint hast«, sagte sie, »aber streng genommen war es eine Lüge. Du hast falsche Informationen weitergegeben oder wie man das nennen will. Das, mein Liebling, ist eine ernste Angelegenheit –«
    »Ich weiß.«
    »– und dein Vater und ich, nun, wir möchten nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst. Selbst, wenn du es für einen Freund tust.«
    Roy richtete sich halb auf und stützte sich auf einen Ellbogen. »Er wäre lieber weggerannt, als seinen richtigen Namen anzugeben. Und das durfte ich nicht zulassen. Er musste zu einem Arzt.«
    »Das verstehe ich auch, glaub mir.«
    »Sie wollten alles Mögliche von ihm wissen, Mom, dabei kippte er fast aus den Latschen, so hohes Fieber hatte er. Vielleicht war es falsch, was ich gemacht habe, aber wenn es sein müsste, würde ich es wieder tun. Das meine ich ganz ernst.«
    Roy erwartete eine milde Zurechtweisung, aber seine Mutter lächelte nur. Sie strich die Decke mit beiden Händen glatt und sagte: »Liebes, du wirst immer wieder im Leben in Situationen geraten, wo die Trennlinie zwischen Richtig und Falsch nicht so eindeutig zu ziehen ist. Dein Herz wird dir sagen, du sollst dies tun, und dein Kopf wird dir sagen, du sollst etwas anderes tun. Letzten Endes kannst du nur beide Möglichkeiten betrachten und schließlich nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden.«
    Na ja, dachte Roy, das ist doch so etwa das, was ich gemacht habe.
    »Dieser Junge«, begann seine Mutter wieder, »wieso will er denn seinen Namen nicht sagen? Und wieso ist er aus dem Krankenhaus weggerannt?«
    Fischfinger war durch ein Fenster der Damentoilette entkommen, die gleich neben dem Röntgenraum lag. Sein zerrissenes grünes T-Shirt hatte er an die Antenne von Officer Delinkos Streifenwagen gehängt, der vor der Notaufnahme geparkt stand.
    »Vermutlich ist er weggerannt, weil er Angst hatte, jemand könnte seine Mutter anrufen.«
    »Und?«
    »Sie will nichts mehr von ihm wissen. Sie würde nur dafür sorgen, dass er ins Heim kommt.«
    »Wie bitte?«
    »Sie hat ihn in eine Kadettenanstalt geschickt«, erklärte Roy, »und jetzt will sie ihn nicht zurückhaben. Das hat sie selbst gesagt, vor Beatrice.«
    Roys Mutter legte den Kopf zur Seite, so als hätte sie ihn vielleicht nicht richtig verstanden. »Seine Mutter will ihn nicht mehr haben?«
    Roy sah etwas in ihrem Blick aufflackern. Er war sich nicht sicher, ob es Kummer war oder Wut – oder beides.
    »Sie will ihn nicht?«, wiederholte seine Mutter.
    Roy nickte ernst.
    »Lieber Himmel!«, sagte sie.
    Ihre Worte kamen so sanft, dass Roy ganz überrascht war. Er hörte Schmerz in ihrer Stimme, und er dachte, vielleicht hätte er ihr diesen Teil von Fischfingers Geschichte lieber nicht erzählen sollen.
    »Tut mir Leid, Mom«, sagte er. »Ich hab dich lieb.«
    »Ich dich auch, mein Herz.«
    Sie küsste ihn auf die Wange und stopfte noch einmal die Decke fest um ihn. Als sie gerade die Tür schließen wollte, zögerte sie noch einmal und wandte sich zu ihm um.
    »Wir sind stolz auf dich, Roy. Ich möchte, dass du das weißt. Dein Vater und ich, wir sind beide sehr, sehr stolz auf dich.«
    »Hat Dad dir von den Eulen erzählt?«
    »Ja, hat er. Das ist wirklich traurig.«
    »Was soll ich denn bloß machen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Ach, schon gut«, sagte

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