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Eulen

Eulen

Titel: Eulen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiassen
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Portionen, obwohl es am Esstisch dieses Mal stiller zuging als bei einer Schachpartie.
    Roy legte die Gabel zur Seite und wandte sich an seinen Vater.
    »Ich nehme an, es ist so weit, oder?«
    »Richtig.«
    Es war Jahre her, seit Roy das letzte Mal von seinem Vater eins hinten drauf bekommen hatte, und er glaubte auch nicht, dass es jetzt dazu kommen würde. Stattdessen zitierte sein Vater ihn immer in sein Arbeitszimmer, wenn er von Roy eine ernsthafte Erklärung für sein Verhalten erwartete. Heute Abend war Roy so müde, dass er sich nicht sicher war, ob er überhaupt noch irgendetwas Sinnvolles von sich geben konnte.
    Sein Vater saß hinter dem großen Schreibtisch aus Walnussholz und erwartete ihn.
    »Was hast du da?«, fragte er Roy.
    »Ein Buch.«
    »Das sehe ich auch. Ich hatte auf etwas ausführlichere Auskünfte gehofft.«
    Roys Vater konnte ziemlich sarkastisch werden, wenn er meinte, keine ausreichende Antwort zu bekommen. Roy nahm an, dass das an den vielen Jahren lag, in denen er windige Gestalten verhört hatte – Gangster oder Spione oder andere, für die sein Vater zuständig war.
    »Ich nehme an«, fuhr der Vater fort, »dass das Buch ein Licht auf die merkwürdigen Ereignisse des heutigen Abends werfen soll.«
    Roy reichte es über den Schreibtisch. »Ihr habt es mir vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt, Mom und du.«
    »Ich weiß«, sagte sein Vater nach einem kurzen Blick auf den Umschlag. »Der große Vogelführer von Sibley. Bist du sicher, dass es nicht ein Geburtstagsgeschenk war?«
    »Ganz sicher, Dad.«
    Roy hatte das Buch auf seinen Wunschzettel geschrieben, nachdem er mit Hilfe dieses Buches eine Wette mit dem Vater gewonnen hatte. Eines Nachmittags hatten sie nämlich einen großen, rötlich braunen Raubvogel gesehen, der hinuntergestoßen war und sich ein Erdhörnchen von einer Viehweide im Gallatin River Valley geschnappt hatte. Roys Vater hatte mit ihm um einen Milch-Shake gewettet, dass es sich bei dem Vogel um einen jungen Weißkopfseeadler handelte, dessen Kopffedern noch nicht weiß geworden waren, aber Roy hatte gesagt, es handele sich um einen ausgewachsenen Steinadler, der in der trockenen Prärielandschaft verbreiteter war. Nachdem Roys Vater in der Bücherei von Bozeman im Sibley nachgeschlagen hatte, musste er zugeben, dass Roy Recht gehabt hatte.
    Mr. Eberhardt hielt das Buch hoch und fragte: »Und was hat dieses Buch nun mit dem Unfug im Krankenhaus zu tun?«
    »Schlag mal Seite 278 auf«, sagte Roy. »Ich hab dir da was angestrichen.«
    Sein Vater blätterte rasch, bis er die richtige Seite gefunden hatte.
    »Kanincheneule«, las er laut vor. »Athene Cunicularia. Mit langen Beinen und kurzem Schwanzgefieder, relativ langen, schmalen Flügeln und flachem Schädel. Nur die jungen Eulen zeigen sich schon mal bei Tageslicht.« Sein Vater sah ihn fragend über den Buchrand hinweg an. »Hat das etwas mit dem ›Bio-Experiment‹ zu tun, an dem ihr angeblich heute Nachmittag gearbeitet habt?«
    »Es gibt kein Bio-Experiment«, gab Roy zu.
    »Und das Hackfleisch, das deine Mutter dir gegeben hat?«
    »War ein Imbiss für die Eulen.«
    »Erzähl weiter«, sagte Mr. Eberhardt.
    »Es ist eine lange Geschichte, Dad.«
    »Ich habe jede Menge Zeit.«
    »Also gut«, sagte Roy. Irgendwie, dachte er müde, wäre es leichter gewesen, wenn sein Vater ihm eine Ohrfeige gegeben hätte.
    »Na ja«, begann er, »da gibt es diesen Jungen, er ist etwa so alt wie ich …«
    Roy erzählte seinem Vater alles – oder doch fast alles. Er erwähnte nicht, dass die Schlangen, die der Stiefbruder von Beatrice Leep ausgesetzt hatte, hochgiftig waren und dass der Junge ihnen allen Ernstes den Mund zugeklebt hatte. Solche Details hätten Mr. Eberhardt womöglich mehr in Aufregung versetzt als kleinere Vandalenakte.
    Außerdem sagte Roy lieber nicht, dass Beatrice ihren Stiefbruder Fischfinger getauft hatte – nur für den Fall, dass sein Vater sich gesetzlich verpflichtet fühlte, den Fall der Polizei zu melden oder irgendwo in einer Datenbank der Regierung zu speichern.
    Aber ansonsten berichtete Roy alles, was er über den rennenden Jungen wusste. Sein Vater hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen.
    »Dad, er ist wirklich kein schlechter Mensch«, sagte Roy, als er fertig war. »Er will bloß die Eulen retten, mehr nicht.«
    Eine Weile sagte Mr. Eberhardt nichts. Er schlug noch einmal das Vogelbuch auf und betrachtete die kleinen Vögel auf der farbigen Zeichnung.
    »Wenn Mama Paula das

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