Eulen
Als er sich auf dem Grundstück umschaute, bemerkte er, dass das Schloss am Tor mit einem schweren Stein aufgebrochen war.
»Du hast wohl gedacht, du wärst ganz schön schlau«, sagte er. »Schleichst hier ständig rein und raus, gerade wie es dir passt. Einen merkwürdigen Sinn für Humor hast du, wirklich.«
Der Junge hob den Kopf. »Wovon reden Sie eigentlich?«
»Stell dich nicht blöd, Roy. Wer hat denn die ganzen Vermessungspfosten rausgerissen oder die Alligatoren in die Klos gestopft oder –«
»Was? Sie sind ja wohl durchgeknallt, Mann!«
»– oder den Streifenwagen eingesprüht? Kein Wunder, dass du nicht willst, dass ich die Polizei rufe.« Curly beugte sich über ihn. »Was ist eigentlich mit dir los, Junge? Hast du was gegen Mama Paula? Ehrlich gesagt, du siehst aus wie einer, der sich ganz gern mal einen guten Pfannkuchen reinschiebt.«
»Na klar! Ich liebe Pfannkuchen!«
»Wo ist dann das Problem?«, fragte Curly. »Warum machst du den ganzen Unfug?«
»Aber – ich bin noch nie hier gewesen!«
Curly hob den Fuß vom Bauch des Jungen. »Komm schon, Junge, steh auf.«
Der Junge nahm die Hand, aber statt sich von Curly hochziehen zu lassen, zerrte er ihn zu Boden. Curly schaffte es, einen Arm um den Hals des Jungen zu bekommen, aber der riss sich los und schmiss Curly eine Hand voll Erde ins Gesicht.
Genau wie in diesem blöden Film, dachte Curly, während er sich wütend die Augen rieb. Bloß dass aus mir kein Cheerleader wird.
Als er wieder gucken konnte, sah er gerade noch, wie der Junge abhaute. Wie Kastagnetten klapperten die Fallen an seinen Schuhspitzen. Curly wollte ihm hinterherlaufen, aber schon nach fünf Schritten stolperte er über einen Eulenbau und fiel auf die Nase.
»Ich krieg dich, Roy!«, brüllte er in die Dunkelheit. »Jetzt ist Schluss mit lustig!«
Officer Delinko hatte am Samstag frei und das war auch gut so. Er hatte eine hektische Woche hinter sich und die merkwürdige Szene in der Notaufnahme vom Krankenhaus hatte dem noch die Krone aufgesetzt.
Der verschwundene Junge mit den Hundebissen war bisher weder gefunden noch identifiziert worden, obwohl Officer Delinko jetzt ein grünes T-Shirt besaß, zu dem der abgerissene Stofffetzen gehörte, den er am Zaun des Bauplatzes gefunden hatte. Der Junge, der aus dem Krankenhaus geflohen war, musste das Hemd an die Antenne von Officer Delinkos Streifenwagen gehängt haben. Vermutlich sollte das ein Scherz sein.
Officer Delinko war es leid, die Zielscheibe solcher Scherze zu sein, auch wenn er froh war über das neue Beweisstück. Es deutete darauf hin, dass der entflohene Patient einer der Vandalen war, die auf Mama Paulas Grundstück ihr Unwesen trieben. Außerdem war zu vermuten, dass Roy Eberhardt mehr über den Fall wusste, als er zugab. Officer Delinko nahm jedoch an, dass Roys Vater diesen rätselhaften Dingen auf den Grund kommen würde, schließlich hatte er ja genügend Erfahrung mit Verhören.
Der Polizist verbrachte den Nachmittag damit, im Fernsehen die Übertragung von Baseballspielen zu schauen, aber die beiden Mannschaften aus Florida verloren haushoch – die Devil Rays mit fünf Punkten, die Marlins mit sieben. Als es Zeit wurde zum Abendessen, warf er einen Blick in den Kühlschrank und entdeckte, dass er so gut wie leer war bis auf drei einzeln verpackte Scheiben Schmelzkäse.
Gleich machte er sich auf den Weg zum Supermarkt, um sich eine tiefgekühlte Pizza zu kaufen. Wie immer machte er einen kleinen Schlenker, um bei Mama Paula vorbeizuschauen. Er hoffte weiterhin, die Vandalen, wer immer sie sein mochten, auf frischer Tat zu ertappen. Wenn ihm das gelang, müssten der Captain und der Sergeant seine Zwangsabordnung an den Schreibtisch doch eigentlich aufheben und ihn wieder Streife fahren lassen – und ihm außerdem eine großartige Empfehlung in die Personalakte schreiben.
Als er in die East Oriole einbog, fragte sich Officer Delinko, ob die dressierten Rottweiler heute Nacht wohl wieder das Grundstück bewachten. In dem Fall müsste er gar nicht erst anhalten – wer ließ sich schon gerne mit derart wild gemachten Hunden ein?
In einiger Entfernung erschien mitten auf der Fahrbahn eine massige Gestalt. Sie bewegte sich merkwürdig schwankend. Officer Delinko brachte seinen Crown Victoria zum Stehen und schaute durch die Windschutzscheibe.
Als die Gestalt näher kam und immer wieder von den Straßenlaternen beleuchtet wurde, erkannte der Polizist, dass es sich um einen Jungen handelte.
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