Eulen
hörte auf, in die Pedale zu treten, und schnappte nach Luft.
»Ich weiß genau, was du im Schilde führst«, knurrte der kahlköpfige Mann. »Denk nur nicht, ich wär dir nicht auf die Schliche gekommen.«
»Bitte, Mister«, sagte Roy, »lassen Sie mich gehen. Ich hab doch nur die Eulen gefüttert.«
Mit einem Mal war die rote Farbe aus den Wangen des Mannes gewichen.
»Was für Eulen?«, fragte er, jetzt nur noch halb so laut. »Hier gibt’s keine Eulen.«
»Doch, sicher«, sagte Roy. »Ich hab sie selbst gesehen.«
Der Kahlköpfige sah jetzt extrem aufgebracht aus. Er kam mit dem Gesicht so nah an Roy heran, dass der riechen konnte, was der Mann gegessen hatte – Zwiebeln.
»Jetzt hörst du mir mal zu, Junge. Du hast hier keine verdammten Eulen gesehen, kapiert? Was du gesehen hast, das war … das war … ein wildes Huhn!«
Roy unterdrückte ein Lachen. »Aber sicher doch.«
»Das ist so. Sieh mal, wir haben hier diese Zwerghühner –«
»Mister, was ich gesehen habe, das waren Eulen, und das wissen Sie auch«, sagte Roy. »Und ich weiß, wieso Sie solche Angst haben.«
Der Wachmann ließ Roys Fahrrad los.
»Ich habe keine Angst«, sagte er mit versteinerter Miene, »und du hast keine Eulen gesehen. Und jetzt verschwinde und lass dich ja nicht mehr hier blicken. Sonst kommst du auch noch hinter Gitter, genauso wie der letzte Junge, den ich auf dem Grundstück erwischt habe.«
Roy lenkte sein Rad vorsichtig um den Pick-up herum und brauste dann mit voller Fahrt davon.
»Das waren Hühner!«, brüllte der Glatzkopf ihm hinterher.
»Eulen«, schrie Roy triumphierend zurück.
Höher und höher und immer höher radelte er den steilen Berg hinauf – oder wenigstens stellte er sich das vor. Das gab ihm die Kraft, so heftig in die Pedale zu treten.
In Wirklichkeit befand er sich auf der East Oriole Avenue, die genau so flach war wie einer von Mama Paulas Pfannkuchen. Er hatte Angst, der Wachmann könne es sich anders überlegen und ihm doch noch nachjagen. Roy rechnete jeden Moment damit, die Hupe des Pick-ups und laute Flüche zu hören, die Hitze des Motors dicht neben sich zu spüren.
Deswegen schaute er sich lieber nicht um und wurde auch nicht langsamer, sondern trat mit aller Kraft in die Pedale, trotz seiner angespannten Arme und der brennenden Beine.
Er hörte erst auf, als er die Kuppe seines gedachten Berges in Montana erreicht hatte und hinunterrollte in die Kühle des Tals.
18
»Das war derselbe Bengel, den ich schon letzte Woche hier hab rumschleichen sehen«, erklärte Curly Officer Delinko. »Aber diesmal hab ich ihn erwischt!«
Officer Delinko bot an, den Vorfall zu melden, aber Curly versicherte ihm, das sei nicht nötig.
»Der kommt nicht wieder, das garantiere ich Ihnen. Nicht nach der Abreibung, die ich ihm verpasst habe.«
Es ging auf Mitternacht zu. Die beiden Männer standen am Bauplatz neben dem Streifenwagen und unterhielten sich entspannt. Beide waren insgeheim der Meinung, dass der wirkliche Vandale noch immer auf freiem Fuß war, aber keiner wollte diesen Verdacht mit dem anderen teilen.
Officer Delinko sagte Curly nicht, dass Dana Matherson viel zu große Angst vor Alligatoren hatte, um der Vandale sein zu können. Er wollte nicht, dass der Wachmann wieder ausrastete.
Und Curly sagte Officer Delinko nichts davon, dass die Sitze erst aus den Baumaschinen gestohlen worden waren, nachdem Dana Matherson schon gefasst worden war. Curly wollte nicht, dass Officer Delinko diese Mitteilung in einen Bericht aufnahm, den womöglich irgendein neugieriger Zeitungsreporter zu lesen bekam.
Obwohl jeder sein Geheimnis vor dem anderen hatte, waren die beiden Männer doch froh, die Nacht nicht allein auf dem Grundstück verbringen zu müssen. Es war ein gutes Gefühl, Verstärkung in nächster Nähe zu haben.
»Ach, übrigens«, sagte Officer Delinko, »was ist eigentlich aus den Kampfhunden geworden, die hier den Bauplatz bewachen sollten?«
»Diese durchgeknallten Köter? Die haben sich ruckzuck aus dem Staub gemacht, vermutlich geradewegs bis Berlin«, sagte Curly. »Hören Sie mal, ich hau mich aufs Ohr. Wenn irgendwas ist, brüllen Sie einfach.«
»Worauf Sie sich verlassen können«, antwortete Officer Delinko.
»Und kein Nickerchen heute Nacht, verstanden?«
»Keine Sorge.«
Officer Delinko war froh, dass es dunkel war, so konnte der Wachmann nicht sehen, wie er rot wurde. Nie im Leben würde er den peinlichen Anblick vergessen – sein kostbarer Streifenwagen mit
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