Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
Vater mit einem Säbel hinter einer schwarz weiß gefleckten Kuh herflitzte und sie ihm nach allen Regeln der Kunst durch geschicktes Hakenschlagen entkam und Herrn Di Lorenzo somit an den Rande des Wahnsinns trieb. Sam musste meine Gedanken an meiner Mine abgelesen haben, denn er prusteten mit mir gemeinsam los.
Zum wohl hundertsten Mal streifte mein Blick sein aufgeknöpftes Hemd und seine nackte Brust, deren ausgeprägte Muskeln seine offensichtliche Kraft zur Schau stellte. Die Versuchung sie mit meinen Fingerspitzen zu berühren, entwickelte sich zu einem schier unwiderstehlichen Verlangen. Im letzten Augenblick zog ich meine Hand zurück und zwang mich an etwas anderes, nicht so verlockendes zu denken. Ich beschwor Erinnerungen aus dem letzten Sommer herauf, an Scottys zum Leben erwachtes Katzenfutter. Durch die brütende Hitze waren unzählige weißliche Maden aus der braun-grünen Fleischbrockenbrühe geschlüpft, die sich darin tummelten, wie Badegäste an einem heißen Tag in der Nordsee. Das half sofort, mein Ekel erstickte jede meiner romantischen Gefühlswallungen im Keim. Angewidert verzog ich den Mund und überlegte, was ich als Nächstes fragen konnte.
»Wie kommt es eigentlich, dass ich einen Zwilling habe?«, fragte ich nach der nahezu offensichtlichsten Merkwürdigkeit, die sich an meine Reinkarnation anschloss. »Ist er auch reinkarniert oder warum habe ich einen Zwilling?«
»Nein. Nik führt sein erstes Leben im Hier und Jetzt«, antwortete Sam. »Er sollte dich lediglich in der Zeit beschützen, in der ich noch nach dir auf der Suche war. Durch die einzigartigeseelische Verbindung unter Zwillingen warst du immer bestens geschützt.«
»Ja. Das klingt logisch«, sagte ich grüblerisch und entsann mich an viele Gelegenheiten, in denen er wie aus dem Nichts aufgetaucht war. »Nik hat mich tatsächlich immer wieder aus den unmöglichsten Lagen gerettet, obwohl ich ihn darüber nie informiert habe. Er ist dann immer einfach so aufgetaucht, als wären wir telepathisch über eine Standleitung miteinander verbunden.«
»So war es auch gewollt.«
Wieder fügte sich ein buntes Glasstückchen in das Mosaik. Doch blieben noch etliche leere Stelle weiterhin unausgefüllt. »Von wem war es gewollt? Und was ist mit Curly?«, wollte ich wissen. »Ist sie auch …?«
»… ein Vampir?«
Ich nickte.
»Nein, ist sie nicht.«
»Aber ich habe sie auch noch nie essen und trinken gesehen«, wunderte ich mich. »Und sie kannte die Matheaufgaben vom Test.« Also doch eine Hackerin.
»Curly ist kein Vampir, aber genauso unsterblich, wie ich es bin. Sie gehört zu einer anderen, nicht so alltäglichen Spezies, die den Menschen weniger bekannt ist.«
»Welche ist es?«
Sam winkte ab. »Auf die Vampire bist du von alleine gekommen. Das konnte ich dir bestätigen. Doch solange du nicht herausbekommst, was es mit Curly auf sich hat, sind meine Lippen versiegelt. Alle Unsterblichen, egal, zu welcher Gattung sie gehören, müssen ihre wahre Identität geheim halten.«
Ich seufzte. »Na gut. Da kann man wohl nichts machen.«
»Nein. Auch das gehört zu unseren Regeln.«
»Mhm«, machte ich und blickte nachdenklich im Schwimmbad umher. Draußen hatte sich der Himmel mittlerweile weiter mit steingrauen Wolken zugezogen. Es sah verdächtig nach Regen aus. Ich schaute zurück zu Sam und deutete mit einem Kopfnicken auf seinen Oberkörper. »Konrad trägt das gleiche Amulett, aber er ist irgendwie … anders als du. Ich meine, ich weiß, dass ihr Brüder seid, aber trotzdem… Dich habe ich noch nie knurren oder heulen hören und deine Augenbrauen sind mir bis jetzt auchnicht durch eine außergewöhnliche Dichte aufgefallen. In meinen Träumen ist er mir als Anführer eines Wolfsrudels erschienen«, schloss ich meine Beobachtungen.
Sam druckste. Er schien nach den passenden Worten zu suchen. »Konrad ist auch ein Vampir«, sagte er zögerlich. »Aber Konrad ist ein spezieller Vampir, ein Vampir, dessen Werdegang sich von den meisten Durchschnittsvampiren abhebt.«
»Wie das?«
»Konrad lebte vor seiner Verwandlung als Werwolf in einem Rudel. Allerdings nahm er diese Gestalt nur unter extremen Bedingungen an, etwa bei starker Aufregung oder Angst. Ansonsten lebte er sein Leben in seiner menschlichen Gestalt.«
»Was ist mit ihm passiert?«, fragte ich.
»Es passierte 1945, als Konrad achtzehn Jahre alt war. Russische Soldaten verfolgten ihn in seiner Wolfsgestalt. Sie trugen Gewehre bei sich und schossen auf ihn,
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