Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
erkannt hatte, dass jegliches Biegen und Winden nichts nützen würde, gab sie schließlich auf. »Na gut«, sagte sie und verdrehte die Augen. »Aber ich komme mit und beschütze dich.« Auf meinen ungläubigen Blick fügte sie hinzu: »Ja, das kann ich … dafür bin ich sogar da … und außerdem läufst du nachher noch allein zu ihm – ich kenne dich doch.«
»Prima, dann nichts wie los!« Ich klatschte in die Hände. Vio hatte ich nicht retten können – aber verdammt sollte ich sein, wenn es mir bei Konrad nicht gelang! Bevor wir das Haus verließen, hielt ich Curly zurück. »Ich hätte da noch eine kleine Bedingung.«
»Ja?«
»Du musst mir eines versprechen. Kein Wort zu Sam.«
Natürlich unternahm Curly noch einige Versuche, mich davon zu überzeugen, dass wir Sam einweihen und mitnehmen sollten. Nicht zum Schutz, sondern als Freund und Bruder. Schließlich aber gab sie auf. »Sam wird mir den Kopf abreißen, wenn er erfährt, auf was ich mich hier eingelassen habe«, fluchte sie leise, während sie ihren schwarzen Mini Cooper auf dem Parkplatz des Westerheversand Leuchtturms parkte. Ab hier ging es nur noch zu Fuß weiter. Die Dämmerung lag bereits über den Salzwiesen und überzog sie mit einer mir unwirklich erscheinenden Atmosphäre. Es war fast so, als hätte jemand das passende Bühnenbild für all die sonderbaren Geschichten gemalt, die mit meinem Leben verbunden waren. In den Prielen staute sich das Wasser und immer wieder stoben Vogelschwärme in den Salzwiesen auseinander, die mit keinen Spaziergängern mehr gerechnet hatten. Die Gräser rauschten im frischen Wind. Im Westen ragte der rotweißgestreifte Leuchtturm in den Abendhimmel. Wir schlugen den Plattenweg ein, der geradeaus zumDeich führte. Von der Deichkrone aus konnten wir den kompletten Sand überblicken.
»Siehst du etwas?« fragte ich.
Curly und ich spähten suchend über den halbdunklen Strand.
»Nein. Hier ist niemand«, rief Curly gegen den Wind an. Dann streckte sie einen Arm nach vorne und führte ihn tastend durch die Luft.
»Bist du dir da wirklich ganz sicher?«, hakte ich enttäuscht nach. Ich war absolut davon überzeugt gewesen, Konrad hier zu treffen. Curly streckte nun beide Arme vor ihrem Oberkörper aus und schloss die Augen. Sie erinnerte mich in dieser Haltung an einen Schlafwandler. Wieder tastete sie konzentriert durch die nun auffrischende Brise, von links nach rechts und von rechts nach links. Ich hielt gespannt die Luft an und beobachtete dieses Ritual, als plötzlich ihr Gesicht kaum merklich zuckte. Sie hielt weiterhin ihre Lider geschlossen und führte die Armbewegungen nochmals aus. Da war es wieder, diese fast unsichtbare Regung. Curly schlug die Augen auf und guckte starr in die Richtung, die ihr ihre immer noch ausgestreckten Arme wiesen.
»Da vorne ist was. Ich kann es ganz deutlich spürten«, sagte sie und schaute auf einen Punkt rechts vor sich. »Los lass uns runter zum Strand gehen.«
Curly lief schon den Deich hinunter und erreichte den Strand, bevor ich mich bewegt hatte. Ich eilte ihr hinterher.
»Los komm schon. Beeil dich!«, sie winkte mir auffordernd zu. »Ich spüre die Anwesenheit immer deutlicher. Er kann nicht mehr weit entfernt sein.«
Ich beschleunigte meine Schritte noch mehr und holte sie bald ein. Die Dunkelheit nahm immer weiter zu und ich musste mich konzentrieren, um überhaupt etwas zu sehen. Wenn wirklich jemand mit uns auf dem Strand wäre, dann hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht mehr erkennen können. Plötzlich schlug Curlys Arm ohne Vorwarnung gegen meine Brust und drückte mich zurück.
»Da ist er«, wisperte sie. »Ich kann ihn sehen. Er ist weniger als fünfzig Meter von uns in der Brandung und schaut auf das Meer.« Curly zeigte in den abendlichen Schummer, doch ich konnteniemanden vor uns ausmachen. »Sei leise, er hat uns scheinbar noch nicht bemerkt.«
»Ich kann ihn gar nicht sehen. Es ist für mich schon viel zu dunkel, um etwas erkennen zu können.« Mein Herz pochte vor Aufregung bis zum Hals.
»Oh, daran habe ich gar nicht gedacht«, Curly griff nach meiner Hand. »Komm, ich führe dich. Aber wir müssen langsam weitergehen, hörst du, sonst erschrecken wir ihn noch und er ist weg, bevor wir auch nur ein Wort mit ihm gesprochen haben.«
Ich nickte. Normalerweise hätte ich darauf etwas sagen müssen, aber ich war mir sicher, dass Curly auch mein Nicken sehen konnte. Schon zog mich ihre Hand vorwärts. Bingo. Sie hatte es gesehen. Wir
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