Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
aus. Hoffe, das ist dir nicht zu persönlich. Mich geht das ja eigentlich gar nichts an. Anita
Hey hübsche Anita,
heute Abend bombardierst du mich ja echt!
Ja, das Mädchen, wie du sie nennst, ist meine Freundin. Aber ich und Kirsten reden nicht so oft. Ich rede vermutlich mehr mit dir als mit ihr. Und wenn es dich stört, dass ich eine Freundin habe: Du warst es doch, die mich ignoriert hat nach unserer Nacht. Du bist weggelaufen. Du hast dich nie mehr gemeldet. Ich mag Frauen, die das, was sie wollen, sich auch nehmen. Du aber hast dich zurückgehalten. Ach, egal, unsere Pfade werden sich wieder einmal kreuzen, dann sehen wir weiter. Ich werde auf deine Idee mit dem Club zurückkommen. Lass uns mal sehen, wie du partyst.
Ah, die Älteren, so, so. Ich kann nicht wirklich für die Jungen sprechen, man vergisst so schnell, wie das war, als man selbst in deren Lage war. Ich kenne mich nur mit mir aus. Ach ja, die Gymnasiumsgeschichten. Ich kenne da noch ein paar, sicherlich kennst du bessere.
Berufe, das ist ein Thema für sich. Ich würde mich gerne auf Autodesign spezialisieren. Das bringt gut Geld. Mein Vater war auch ziemlich an Autos interessiert. Mich begeistert besonders der künstlerische Aspekt. Ich mag Autos, ich meine, ihr Aussehen. Außerdem würde mich
dieser Beruf mit meiner Familie verbinden. Erzähl mal von deiner Familie. Man könnte ja fast meinen, du wärst ein Waisenkind. Wieso gehst du nicht in die Schule? Und wie sieht es bei dir mit Arbeit aus, mit Berufswünschen? Ich stelle mir dich als Massagetherapistin vor oder Bartenderin oder irgendetwas von diesen Talenten, die ich schon zu spüren bekommen habe. Schreib dir später, meine Schöne. Tobias
Er hat eine Freundin. Er hat eine verdammte Freundin.
Und mich verarscht er nur. Die Mail war doch reinste Verarsche. Scheiße.
Ich muss ihm noch einmal schreiben. Ein letztes Mal. Ich kann vielleicht doch noch klarer werden, muss es wohl. Ich kann nicht sprechen. Aber schreiben ist etwas anderes. Ich muss schreiben können.
Hallo Tobias,
entschuldige, dass ich dich heute so belästige, ich hoffe, dass es dich nicht abstößt. Natürlich, du hast Recht, ich war diejenige, die damals weggelaufen ist. Aber hast du mich gesucht? Hast du dich gemeldet? Nicht, dass ich dir Vorwürfe machen will, ich habe unter deiner Abwesenheit nicht gelitten, was hätte ich auch zu vermissen gehabt, ich habe dich schließlich nie besessen. Du bist ganz frei, sicherlich werde ich dir in dieser Mail ein paar Dinge sagen, durch die du dich beengt fühlen könntest, aber das ist nicht meine Absicht. Ich würde dir Tausende Nachrichten lieber verkünden, am meisten die, dass ich mit dir abgeschlossen habe und dich mit
einem guten Wunsch für deine Zukunft entlasse. Aber die Wahrheit ist: Ich brauche dich. Und noch jemand. Tobias, du bist Vater. Ein Kind reift in dieser Sekunde in mir heran, teilt die Luft, die ich atme, das Essen, das ich zu mir nehme, und das Blut, das durch meine Adern fließt. Aber auch wenn wir alles teilen, so gibt es etwas, das ich dem Baby nicht geben kann: Vaterliebe. Du weißt nicht, wie schwer es mir gefallen ist, diese letzten Sätze zu schreiben, nicht nur aus der Angst heraus, du könntest glauben, ich wolle dich mit einem Trick von deiner Freundin zu mir locken, sondern vor allem weil niemand besser als ich weiß, wie schwer es ist, ohne Vaterliebe zu leben.
Das ist ein höchst emotionales Thema für mich, die ich erst in diesem Sommer von meinem Vater ohne ein erklärendes Wort verlassen wurde. Lass du nicht dein ungeborenes Kind in derselben Leere, auf ewiger Suche nach einer Antwort. Das wäre nicht gerecht, Tobias. Es ist nicht deine Schuld, dass dies passiert, genauso wenig, wie es meine ist. Überhaupt ist es meiner Ansicht nach nicht angebracht, von Schuld zu sprechen, denn es ist ein Kind, von dem ich hier schreibe, ein unschuldiges Kind und ein wertvolles Leben. Es ist ein Wunder, Tobias, und ich kann dir nicht ausmalen, was es für ein Gefühl ist, einen Menschen, das Produkt der eigenen Körperlichkeit, in sich zu tragen. Tobias, ich habe das Gefühl, wichtig zu sein. Du hast Recht: hübsch zu sein. Du würdest mich hübsch finden, glaube ich. Glaube mir, ich würde für dich hübsch sein. Ich wäre immer für dich da. Und wenn du das nicht willst, so wäre ich immer weit entfernt von dir, solange du für das Kind da bist. Bitte, ich flehe dich an, bitte, verlass mein Kind nicht! Du
kannst hier wohnen. Du kannst hier als
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