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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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müssen. Aber sobald sie mich ganz umfangen hat, sich in meine Jacke und durch meine Wolllagen frisst und meinen Bauch, meinen vielleicht, hoffentlich, hoffentlich nicht dicken Bauch ankratzt, bin ich nicht mehr abgestoßen, sondern angelockt. Während der kurzen Zeit, in der ich im Haus war, oder auch nicht so kurz, ich musste mich ja aufwärmen und mich dann wieder aufraffen, hat der Weihnachtsmarkt aufgemacht. Das heißt, die Frauen müssen
schon viel früher die Türen und Verkaufsfenster ihrer Holzbuden geöffnet und mit frischen Tannenzweigen behängt, die Goldsterne zurechtgebogen und die Schneereste fortgefegt haben. Noch bleibt er ja nicht auf dem Boden liegen, aber auf den kleinen Metalldächern möglicherweise schon. Sie müssen die Lichter angeknipst und die CDs eingelegt haben, die Kastanienrinden aufgeschlitzt und die Heizgeräte eingesteckt haben. Sie müssen ihre Wangen gerötet und ihre Stimmung von müde auf heiter-mürrisch-markt-weibisch-weihnachtlich hochgefahren haben. Sonst wäre es nicht so stark, dieses Gefühl von Advent und Wachs und Lebkuchen und – ja, wieder – Heimat. Kindheit. Das kenn ich doch. Da war ich schon einmal, und es war unglaublich schön, eine Märchenwelt, und ich will da wieder hin.
    Der Markt gruppiert sich in verwinkelten Gassen mitten auf einer im Dezember gesperrten Straße, die Anwohner wissen, dass sie einen Umweg finden müssen, Besucher von auswärts steigen spontan aus ihren Autos und vergessen den Ärger über den versperrten Weg, bis sie viel später dann feststellen, dass ihr Wagen während ihres Zwischenstopps von anderen Zwischenstoppern zugeparkt wurde. Kurz bevor die Hüttchen und Bäume und Buden beginnen, muss der Neuankömmling durch einen Bogen von Glühbändern treten, die von einem quer über die Straße gespannten Seil herabhängen. Hat man erst einmal diesen Sternenregen passiert, gibt es so schnell kein Zurück mehr. Selbst wenn einem der Duft von Wurst und Waffeln bloßer Gestank, der Anblick von heiteren, glühweintrinkenden, schunkelnden Menschenmassen ein Alptraum und das Gefühl stetig wechselnder Daunenschultern an der eigenen und der Geruch von Mottenkugeln in Pelzkrägen eine Zumutung ist, man wird unweigerlich weitergeschoben und -gedrückt und kann höchstens
in eine Seitengasse fliehen. In einer solchen finde ich mich wieder. Immerhin sind es keine Schüler, die sich hier drängen, sondern Erwachsene: Touristen, Ehepaare und müßige Shopper. Denen bin ich egal, sie schauen meinen Bauch nicht an. In dieser Marktstraße ist es ruhig, die Menschenwoge schwappt daran vorbei. Um diese Uhrzeit, am späten Morgen, bleiben die meisten Besucher lieber bei den Essensständen. Meine Gasse ist das Territorium des Kunstgewerbes. Ein paar Hütten haben noch nicht einmal geöffnet, die Besitzer erwarten die ersten Interessierten erst nach Feierabend. An einer Bretterwand wird für ein besonderes Abendprogramm geworben, die dazugehörige Bude ist geräumiger und veranstaltet »Jazz & Jewelry«, wo Livemusik den Verkauf der Schmuckstücke untermalen soll. Aber noch liegt keine Musik in der Luft, nur ein Kinderchor murmelt aus den Lautsprechern der Hauptstraße herüber. Was genau die benachbarten Stände anbieten, ist mir nicht klar, sie sind verschlossen. Aber ich erinnere mich aus den vergangenen Jahren an Holzschnitzereien und Batikhemden. Hier könnte ich ein Geschenk für Melanie finden, die Sachen sind manchmal gar nicht so hässlich. Aber ich bin zu früh, beschließe, später wiederzukommen, will nur noch einmal über den Markt bummeln und hoffen, dass er mich wieder ausspuckt. Vielleicht esse ich auch noch etwas. Mal sehen.
    Da ist ein offener Ladenstand. Die Klappe an seiner Front ist bereits hochgeschoben, und die Ware ist aufgereiht. Keramik. Teller und Platten und Hausschilder und Tiere und Tassen, auf denen Namen oder Sprüche stehen. Die Verkäuferin sitzt an der Rückwand und scheint zu frieren. Na ja, sie hat auch keinen Grund aufzustehen, außer mir gibt es niemanden, um den sie sich kümmern muss. Als sie mich allerdings sieht, bemerkt, dass ich zögere, sofort weiterzugehen, hievt
sie sich hoch. Sie setzt ein etwas gezwungenes Lächeln auf und sagt in einem dumpfen Dialekt: »Wie kann ich Ihnen helfen, junge Dame?« Nun muss ich mir helfen lassen. Ich komme näher an die Theke und schaue mir die Sachen an. Nicht so ganz mein Geschmack. Und nicht cool genug für Melanie. Und für meine Mutter? Nein, auch nicht, wozu soll ich ihr

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