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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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geschrieben. Aber das hat sie nicht. Sie hat recherchiert, wie ich das früher gemacht habe, Magazine und das Internet durchwühlt, nach den Orten, an denen man sich momentan tummelt. An denen man es sich leisten kann, kleinen Mädchen Drinks auszugeben. Wenn sie nur willig sind, die Knie nicht nur gegen Barhocker drücken, sich nicht zu gut sind für einen, wenn sie sich abfüllen lassen und dann mitgehen. Wenn sie sind, wie ich war. Nein, ich war besser als die alle. Niemand hat Haare wie ich, niemand solche Sternenaugen, niemand ein Ego wie ich. Niemandem ist es so egal, was passiert, wie mir. Dabei ist es mir nicht egal.

    Ich wache auf, es ist der Vierundzwanzigste. Wirklich. Weihnachten. Ich war nervös und glücklich und in aufgeregter, überweihnachtlicher Stimmung, hätte in der Badewanne tausend Weihnachtslieder gleichzeitig singen und mich damit selbst in den Wahnsinn treiben können. Stattdessen habe ich mir die Beine rasiert und meinen nackten, glatten Körper unter der Wasseroberfläche beobachtet. Größtenteils unter. Ich muss mehr Wasser einlassen, um meinen Bauch ganz bedecken zu können, um nicht frieren zu müssen. O nein, mein Bauch! Da ist er, dieser mit meiner Haut bespannte Luftballon, ich habe ihn nun doch gesehen. Hatte gar nicht mehr daran gedacht, meine Klamotten abgestreift, ohne groß zu denken. Er ist gewachsen. An seiner Rundung sammeln sich kleine Sauerstoffblasen, klammern sich an die Haut und an die Winzhärchen wie kleine Organismen, Fische oder Muscheln, die das Leben aus mir saugen wollen. Ich streiche sie mit meinem Finger ab, sie steigen an die dünne Schicht, die Badewasser und Badezimmerluft zu trennen scheint, und platzen. Mit meinem Rasierer fahre ich meine Beine entlang, mit genau derselben Bewegung, das noch fusselige Bein lege ich auf den Hahn, creme es mit großzügigen Mengen Rasierschaum ein und streiche ihn dann fort. Zum Vorschein kommt glatte, sanfte Haut. Sie gebiert sich aus dem Schaum. Ich bin immer noch die Schlampe Aphrodite, dieses Schaumkind. Nein, keine Schlampe. Das ist ein böses Wort. Nadja soll keine Hure zur Mutter haben. Sondern die beste, die man sich wünschen kann. Ich bin die perfekte Mutter. Pflege erst mich und beginne dann – ein Handtuch um das Haar und eine Wolldecke um den Körper gewickelt, der vom Baden rillig und runzlig ist –, Geschenke einzupacken. Es ist wirklich Weihnachten.

    Wenigstens Melanie meldet sich bei mir, will mich haben, treffen, will mit mir reden und will mich lieben. Sie hat mir geschrieben, sie hätte mir etwas Wichtiges zu sagen. Ich habe zurückgesimst: Ich dir auch. Damit steht es fest, ich werde ihr sagen, dass ich schwanger bin. Sie wird sich für mich freuen. Soll ich sie bitten, danach mit zu mir nach Hause zu kommen und dabei zu sein, wenn ich es meiner Mutter sage? Ich glaube, das werde ich tun. Es wäre schön, sie an meiner Seite zu haben und sagen zu können: »Mama, das ist Melanie, meine beste Freundin.« Dann weiß sie, dass ich ein guter Mensch bin. Dass ich es schaffen kann, ein Kind zu haben. Dann kann ich ihr sagen: »Mama, du bist Großmutter. Sie heißt Nadja und wird in fünf Monaten auf die Welt kommen. Sie wird uns helfen, Mama. Wir werden wieder eine glückliche Familie sein, eine komplette Familie.« Vielleicht könnte Melanie bei uns bleiben. Aber nein, sie hat ja zwei Eltern. Das passt zu ihr. Zu ihrer Sicherheit. Zu ihrer Kindlichkeit. Und sie kann uns ja besuchen kommen, Nadja und mich im Krankenhaus und alle meine Lieben in der Wohnung, nach der Geburt und ein Leben lang. Es könnte so sein. Es ist so greifbar, fast weine ich.
    Aber die Päckchen müssen fertig werden, hübsch sein, knisterndes Papier und große Schleifen, Weihnachten in Quadraten, ach ja. Ich ertappe mich dabei, ein Weihnachtslied zu singen, »Stille Nacht, heilige Nacht«, und denke: Vorsicht, noch ist nicht Nacht, noch nicht einmal sechzehn Uhr, nicht zu früh freuen – oder doch? Vorfreude ist so schön. Warten nicht. Das hatte ich vergessen, dieses Warten auf Treffen mit irgendwem, auch wenn ich jetzt wenigstens weiß, auf wen ich warte, ich habe eine Antwort auf die Frage von fremden Jungen in den Vortrinkbars. In die ich nicht mehr gehe. Ich bin nicht draußen im Geschehen, sondern in der Wohnung,
die ich noch vor ein paar Monaten nicht ertragen konnte, lieber in ein makabres Kaufhaus gegangen bin ich damals, als in der Stille zu liegen. Ich mag die Stille jetzt. Wie man sich verändert.
    Dass ich überhaupt

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