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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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Mutter wedelt mit den Händen, gestikuliert wild herum, nimmt mir das Geschenk ab, aber macht keine Anstalten, es zu öffnen. Sie will also warten.
    Der Gang zum Baum, unter dem das Sargpaket steht, fällt mir so schwer, als ginge es über eine Planke in ein Meer voller Piranhas und Haifische. Ich gehe an meiner Mutter vorbei, sie dreht sich zu dem Baum und presst das Geschenk an ihre Brust. Sie ist gespannt. Ich bin gespannt. Plötzlich doch.
    Plötzlich bin ich wie mein Vater. Ich kann das Papier nicht schnell herunterreißen, weil ich nicht ankommen will im Inneren, ich habe Angst, dass der Kern dieser Hüllen und Lagen mich enttäuschen wird. Ich löse den Tesafilm an einer Seite, falte das Papierdreieck auf, öffne die einzelnen Teile dieses Teils der Verpackung. Ich kann meine Mutter atmen hören. Ich drehe das gesamte Paket um, öffne die gegenüberliegende Seite. Langsam schäle ich die oberste Lage ab, reiße die Mumienverpackung an der Naht auf, fahre mit einem Nagel unter dem Tesafilm hindurch. Ich kann sie nicht mehr atmen hören.
    Scheiße.
    Was ist das denn?
    Ich stehe auf und schaue meine Mutter an. Sie erklärt strahlend: »Für dich und deine Freundin Melanie. Für den Sommer.«

    Als ob ich diese Schlampe, diese verdammte Hure jemals wiedersehen will. Kann. Werde. Als ob ich jemals mit ihr oder verdammt nochmal irgendwem über sonnige Wiesen rennen würde und wie ein Scheißkleinkind Lacrosse spielen würde.
    Lacrosse. Meine Mutter hat mir ein scheißteures Lacrosse-Set geschenkt. Aus dunklem Holz. Sie hat das Scheißgeld, das uns sonst überall fehlt, für ein Scheißspielzeug ausgegeben. Als ob ich ein Kind wäre. Als ob ich Freunde hätte. Als ob ich nicht ohnehin schon uncool, zu uncool, zu verdammt dumm gewesen wäre für Melanie und die anderen. Für die Welt. Ich bin zu dumm für die Welt und bekomme mit fünfzehn zu Weihnachten nichts, nur ein Spielzeug für den Sommer.
    Ich kann nicht einmal Danke sagen. Ich habe keine Lust.
    Meine Mutter hat gemerkt, dass sie etwas falsch gemacht hat. Sie ist den Tränen nahe. Was für eine Scheiße.
    »Mach doch dein Geschenk auf, Mama.«
    Sage ich, weil ich mich nicht danach fühle, den Karton mit der Aufschrift Super-Sommer-Fun-Lacrosse aufzumachen. Ich will die Schläger, die Bälle, die kleinen Tore, den ganzen Scheiß nicht sehen müssen. Schon der Anblick des Kartons mit den dämlichen Kindern, die mit geschwungenen Schlägern hinter ihrem Vater her über eine giftgrüne Wiese laufen, ist einfach nur zum Kotzen.
    »O. k.« oder »o. k.?«, sagt meine Mutter. Sie blickt mich immer wieder fragend, Bestätigung, Erlaubnis, Dank suchend an, während sie mein Geschenk öffnet. Sie tut es schnell und routiniert.
    Natürlich ist es auch nicht gut.
    Sie kann nicht schenken.
    Und ich kann es auch nicht.

    Ich habe ihr eine Anti-Falten-Nachtcreme gekauft. Ich weiß nicht mehr, warum ich bis heute Morgen dachte, das sei eine gute, nein, schlicht eine geniale Idee.
    Sie wird alt, als sie versteht, was ich ihr gegeben habe. Sie schämt sich, und das Rot rinnt aus ihren Wangen, hinterlässt tiefe Augenhöhlen und dunkle Schatten und Falten. Sie ist doch nicht alt. Aber ich mache sie alt.
    Sie nimmt ihr Glas vom Tisch und leert den letzten Rest. Dann lächelt sie unglaublich traurig und gekränkt. Ich folge ihren Bewegungen unweigerlich und trinke ebenfalls. Wir finden uns in einer seltsamen Position wieder, gegenüber, gemeinsam und doch allein, ewig allein, die falschen Geschenke von der falschen Person, weil es die richtige nicht mehr gibt, nie mehr gibt.
    Wir sind beide so dumm. Ich mache sie alt, sie macht mich klein. Beide machen wir uns dumm. Immer im Kreis.
    »Ich bin müde«, sage ich und setze mich auf das Sofa. Das leere Glas stelle ich auf den Boden.
    »Willst du noch einen Kaffee?«, fragt meine Mutter. »Es dauert noch bis zur Messe. Ich mache uns einen Kaffee.«
    Damit geht sie. Ich weiß nicht, ob sie in der Küche weint. Ich kann nicht weinen. Es ist alles zu viel.
    Als sie wiederkommt, sind wir beide in das Schweigen verfallen, in dem wir die letzten Monate zugebracht haben. Sie setzt sich neben mich, reicht mir eine Tasse. Ich lächle und ziehe meine Knie an. Auf dem linken stelle ich die Tasse ab, der Henkel ist zu dicht an der Tasse, ich spüre den heißen Kaffee durch das Porzellan und schaffe es nicht, ihn schnell zu trinken, normal zu wirken und nicht verklemmt. Meine Mutter schafft es auch nicht. So warten wir. Nippen. Schlucken. Bemerken

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