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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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nur wissen könntest.
    Meine Mutter will dich umbringen, Nadja, mein Höhlenmensch. Nicht mit ihren eigenen Händen. Sie wird nicht die Küvette halten, die dich wegsaugt, absaugt, umbringt. Das wird der Experte für Aspiration sein. Denn das heißt Aspiration: Absaugen. Abort. Schwangerschaftsabbruch. Abtreibung.
    Ich sitze am Küchentisch und höre mir die Worte an, die meine Mutter mir da ins Gesicht wirft. Abtreibung. Nadja abtreiben? Das ist doch Mord. Nadja ist meine Hoffnung. Ich
bringe doch nicht meine Hoffnung um. Ich schlachte doch nicht meine Zukunft.
    Ich habe wenig geschlafen heute Nacht. Ich habe versucht, mich auf die linke Schulter zu legen und nicht an Melanie zu denken, habe mich auf die rechte gewälzt, und meine Mutter hat meine Gedanken übernommen. Vielleicht, wenn ich nur an Nadja denke, an nichts anderes, nur an den Klang dieser Buchstaben in meinem Mund. Ganz leise habe ich in die Bettdecke »Nadja« gewispert, die Zunge schmiegt sich bei »Nad« ganz nah an den Gaumen und schnalzt dann los bei »ja«, ja, ein echtes, ernstes, liebendes Ja. Aber als ich es leise gesagt hatte, war es mir schon zu laut geworden. Meine Schläfrigkeit zerriss durch die zwei Silben, ich war hellwach. Probeweise sagte ich es noch einmal, »Nadja«, und es war wieder so laut. Warum muss jetzt auch Nadja so laut werden? Warum kann man mich nicht schlafen lassen?
    Ein paar heiße Tränen sind dann doch aus meinem Augenwinkel in das Kopfkissen geflossen, während ich noch stummer »Nadja, Nadja, Nadja« gemurmelt habe. Aber es hat ja nichts genützt. Nichts ist passiert. Ich habe meinen Kopf vom nassen Kissen gehoben und die Wand am Fußende meines Betts angestarrt. Das Auge, das unten gelegen hat, alle Tränen hatte es auffangen müssen, sah die weiße Wand schwarz. Das andere sah sie grau. Punkte tanzten durch das nächtliche Zimmer wie Schneeflocken oder Pixel auf einem schlechten Bildschirm. Mein Leben ist nicht nur ein Scheißfilm, sondern er wird auch noch in Scheißqualität gezeigt. Ich laufe nicht einmal in High Definition.
    Wenn ich schon mal wach bin, kann ich auch wach bleiben, habe ich dann gedacht. Was kann meine Mutter denn schon dagegen sagen, wenn sie von der Messe zurückkommt?
Sie will ja nicht mit mir reden. Ist sie vielleicht schon zurück? Ich habe sie nicht kommen hören, aber gedöst könnte ich schon haben, nur ein wenig, nur ganz kurz, eine ganz dünne Schicht Schlaf in meiner Erinnerung.
    Ich könnte das Licht anmachen. Ich strecke sogar meine Hand aus und finde das Kabel der Lampe, die auf meinem Nachttischchen steht. Am Tag hat sie einen roten Lampenschirm, über den ich manchmal meine Ketten hänge, wenn ich vergessen habe, sie vor dem Zubettgehen abzunehmen. Jetzt sehe ich das Rot und die Ketten nicht. Will ich sie überhaupt sehen? Da ist der Schalter. Er fühlt sich kühl an, das Plastik friert in meinem ungeheizten Zimmer. Ich werde ihn nicht umlegen, den Schalter. Ich werde im Dunklen bleiben.
    Langsam pendelt sich das Wasserungleichgewicht in meinen Augen wieder ein, doch ich kann auch jetzt noch nicht viel erkennen, nur da eine Falte in der Decke oder dort eine glänzende Oberfläche. Farben sehe ich keine.
    Es könnte natürlich sein, dass ich heute Nacht durchdrehe. Warum auch nicht?
    Meine Füße sind auch kalt, wie der Schalter. Den einen stemme ich probeweise in meinen Oberschenkel, aber anstatt dass er warm wird, kriecht von diesem Fuß aus Kälte in mein ganzes Bein. Mein Bauch zittert. Meine armen Hüftknochen. Ich habe ein solches Mitleid mit meinem Körper, dass ich aus dem Bett muss. Vorsichtig, nicht hinfallen. Da liegen die zu schnell ausgezogenen Klamotten. Da ist ein Stuhl. Hier lebe ich. Im Wohnzimmer steht jetzt das dumme Lacrosse-Set. Vermutlich still. Aber wenn es sich bewegt? Wenn es hierher in mein Zimmer kommt und die Freude fordert, die ihm immer versprochen wurde, du bist ein Geschenk, ein Weihnachtsgeschenk, hat ihm das nicht die Verkäuferin,
vielleicht sogar meine Mutter, gesagt? Was, wenn es seine Traurigkeit in meine Seele bläst?
    Zu viele schlechte Filme. Das muss aufhören, dieses Denken. Ich werde echt verrückt.
    Wo ist die Heizung? Da ist das Fenster, da unten die Straße, da fahren keine Autos, gehen keine Menschen. Da ist die Heizung. Ich drehe an dem seitlichen Knopf oder Rad oder wie es auch heißen mag, und kann Wasser gluckern hören. Es wird warm werden.
    Wohin jetzt? Wohin in dieser Nacht, wenn keiner mit mir spricht, nicht einmal ich, weil

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