Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
Vom Netzwerk:
– die Beine übereinandergeschlagen und die Zigarettenhand auf der Theke und ihr Rücken im Spiegel dahinter, so schön, Haarbandmädchen, warum bist du so verflucht schön? Und mein Mantel ist natürlich auf den Boden gerutscht, ich habe
mich nicht darum gekümmert, und die dumme Plastiktüte, in der mein dummes, albernes Geschenk war, liegt auch auf dem Boden, so dass ich mich hinknien muss, lächerlich, wie ein altes Weib, ich bin so peinlich, ich kann nichts richtig machen, ich kann den Kampf gegen Melanie nicht gewinnen. Sie hat Recht. Sie ist jünger, schöner, dünner, schneller, heftiger, schärfer, klarer, lauter, netter, lustiger, hübscher, perfekt, perfekt, perfekter als ich.
    Ich muss an ihr vorbei. Sie kann noch einen guten Blick auf mich werfen, auf meine Unzulänglichkeit. Und mit ihr starrt der Bartender und die ganze Bar, die paar, die da sind, sind jetzt viele, sie sind jetzt die Menge, und ich bin draußen. Noch nicht ganz. Melanie sagt noch etwas.
    »Das hast du verdient, Hure«, sagt sie.
    Ich habe es noch dazu verdient. Ich habe es verdient.
    Aber. Melanie?

16
DER WIDERHALL DER GLOCKEN
    Wir müssen ein Ende finden. Der Abend muss vorbei sein, irgendwann. Möglichst bald, sonst findet uns die Morgensonne mit ihren staubigen Strahlen, wie wir immer noch hier sitzen, meine Mutter und ich, jede ihre Kaffeetasse auf einem Knie abgestellt, den letzten Schluck noch nicht getrunken. Wahrscheinlich werde ich meinen Espresso auch nicht mehr trinken. Durch das Porzellan fühle ich, dass die Flüssigkeit inzwischen nur noch lauwarm ist. Außerdem muss ich doch schlafen. Sie auch. Sie braucht den Schlaf.
    In diesen Feiertagen sehe ich wieder mehr von ihr, aber nicht mehr die Herbstferiengemütlichkeit, sondern eine Angespanntheit, sie meint, mich schon wieder verloren zu haben, seit den Ferien, seit dem einen Frühstück, und das wollte sie doch nicht. Ich habe seit Monaten kaum mit ihr geredet. Aber was verkrampft sie sich auch so? Je mehr sie will, dass alles funktioniert – nein, perfekt muss es sein –, desto weniger kann ich zu ihr kommen, denn dann ist sie Superwoman und nicht meine Mutter, die Mutter, die ich brauche, zum Reden, zum Gestehen, als Großmutter meines ungeborenen Kindes. Seit einer Woche hat sie frei, zumindest an den Nachmittagen, um zu putzen und zu schrubben, einen Tannenbaum zu kaufen und Geschenke zu stapeln in dem Kleiderschrank, der praktischerweise ja halb
leersteht diesen Winter. Und sie hat Sterne gebastelt. Hat sich allen Ernstes jeden Abend an den Küchentisch gesetzt, das Radio angestellt und Tausende Origamisterne gefaltet aus Goldstanniolpapier. Die hat sie dann verteilt in der ganzen Wohnung, sogar im Bad sind ein paar. Warum macht sie das? Das sei ihr Thema: Sterne, dieses Weihnachten, sagt sie. Wozu braucht sie ein Thema? Früher hatten wir ja auch nie eines. Aber das ist vermutlich der Grund. Nichts darf dieses Jahr so sein, wie es letztes Jahr war und all die Male davor. Es muss besser sein. Eine größere Tanne, frischerer Fisch, teurere Geschenke und eben mehr Sterne. Ich kann es verstehen. Konnte es verstehen. Wollte ich heute Morgen nicht auch noch das perfekte Weihnachten feiern? Daraus ist wohl nichts geworden. Ich bin nicht perfekt, wie sollten Hände, so schmutzig wie meine, ein glänzendes Fest zustande bringen? Alles wird grau, wenn ich es anfasse. Grau und leer und einsam. Ich mache immer alles falsch.
    Das Foto war eine dumme Idee. Beide Geschenke waren dumm. Das ganze Treffen war dumm. Der Nachmittag war ruiniert. Was hätte ich denn noch tun sollen? Ich bin einfach nur nach Hause. In mein Sternenheim. Zur Mutter Gottes. Mama. Warum hat sie nicht erkannt, dass es mir schlechtgeht? Warum hat sie nicht gefragt, wo ich war? Warum ich so lange weg war? Oder nur so kurz. Warum?
    Weil sie es nicht kann. Sie kann nicht reden, meine Mutter, sie kann es einfach nicht. Deshalb sind wir hier gelandet, still, schweigend auf dem Sofa. Aber der Reihe nach:
    Ich bin also nach Hause gekommen, es muss erst fünf gewesen sein, mein Treffen hat ja nicht gedauert, nicht lange, überhaupt nicht. Ich bin durch das Factory 18 hindurchgerutscht, um kurz vor vier hinein und wenig später wieder hinaus, keiner hat mich aufgehalten. Keiner wollte, dass ich
noch ein bisschen bleibe. Auch den Heimweg habe ich kaum gemerkt, er verlief zu schnell, ich lief zu schnell und doch nicht schnell genug, um die Gedanken abzuhängen, das Echo. Du hast es verdient, Hure, Nutte, Schlampe,

Weitere Kostenlose Bücher