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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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das Geräusch. Vermeiden es, unsere
Schultern zu berühren. Schweigen. Ewiges Schweigen. Der Kaffeerest wird kalt.
    Es musste ein Ende haben. Deshalb habe ich es gesagt. Vielleicht war es auch der Alkohol und die Müdigkeit und der ganze verrückte Tag, aber ich hatte eigentlich Recht: Es musste gesagt werden, genau dann und dort.
    »Ich bin schwanger.«
    Das Schweigen wollte noch eine Sekunde anhalten, wollte nicht aufgelöst und zerstört werden, es wollte nicht nachgeben. Meine Mutter dreht sich um, wie eine Serie von Fotografien, die man durchblättert, ich konnte jeden Muskel arbeiten sehen, jede Veränderung der Mimik, jeden Gedanken, der durch ihre Schläfen floss, dann schoss.
    Verwirrung. Was?
    Unglaube. Schwanger?
    Bewusstwerden. Schwanger.
    Klarheit. Anita ist schwanger.
    Wut. Anita ist schwanger.
    Unbändige Wut. Anita ist verdammt nochmal schwanger.
    Ich wusste nicht, was sie sagen würde. Ich hatte nicht vorbereitet, was ich antworten würde. Ich hatte nicht einmal mit der Wut gerechnet, die ich nun durch den Hals meiner Mutter in ihren Kopf rasen sah, durch die Adern und die Venen und die Zellen in den Mund.
    »Ich möchte nicht mit dir darüber reden«, sagt sie und merkt nicht, dass sie es viel zu laut sagt.
    Hör auf, Mama, was heißt das denn, ich verstehe nichts. Nicht reden? Warum habe ich es dann gesagt? Warum habe ich überhaupt etwas gesagt?

    Sie schickt mich in mein Zimmer. Indem sie ganz langsam vom Sofa gleitet, ihre Tasse fällt auf den Boden, doch sie zerspringt nicht. Der Kaffee bildet eine Lache um ihren Fuß. Sie sieht mich starr an. Ihre Augen sind trocken, fürchterlich trocken und rot. Sie hasst mich. Sie hilft mir nicht. Sie wird mir echt nicht helfen? Nein. Der Traum ist aus.
    Ich gehe in mein Zimmer und weine nicht, bis ich sie aus dem Haus gehen höre. Sie geht in die Messe. Sie nimmt mich nicht mit. Ich darf nicht Weihnachten feiern. Es wird nie mehr so wie früher.
    Es ist Mitternacht. Der Tag ist endlich zu Ende.

17
MARMELADE
    Stell dir vor, du liegst in einer Höhle. Die Wände sind weich und elastisch, und könntest du deine Augen bewegen, wären sie nicht so gemütlich und träge und feucht, du würdest merken, dass die Wände nicht aus einer Masse, sondern aus vielen einzelnen Fasern bestehen, haarfein, die sich aufspalten in Tausende weitere Fäden, ineinander verflochten, durcheinander strebend. Sie sind so seidig und dünn, die Fäden. Du kannst eine Art Maserung erkennen, viele der Linien verlaufen vertikal, sind durchwoben und befestigt mit dickeren Strängen, die lebhafter zu sein scheinen, unbeseelt bewegt, als ob eine massige Flüssigkeit durch sie pulsiert, an dir vorbeiläuft durch die Kanäle und an den violetten Knotenpunkten umgeleitet wird zu ihrem Ziel in weiter Ferne. Und dieses Ziel strahlt durch all die Wände, die tanzenden Wände — eine rote Sonne durch die fragilen Seidenschals neben dir. Und der Puls des Ziels, des unglaublich mächtigen Ziels, bewegt auch dich, mit jedem Atemzug ein Schlag durch alle Glieder, du liegst in einem weichen, warmen Gelee, einer festen Flüssigkeit, die über dich hinweg und durch dich hindurch wogt, durch deine feuchten, biegsamen Knochen, die sich in der Wärme wie Algen wiegen. In dieser Masse treiben die Lebensfunken, die dir jemand zusendet, und eine übermächtige Liebe.
Die Liebe steigt in deinen Kopf hinein. Wer schickt sie? Wer ist die Sonne? Du weißt es nicht und liebst sie doch, unerschütterlich und ohne sie zu hinterfragen. Du bist nicht einmal verwundert. Du bist so sorglos. Geborgen in deiner Höhle. Kannst stille Träume von Süße und Sommererdbeeren träumen.
    Hat die Strömung zugenommen? Leise schwebst du in eine bestimmte Richtung. Die Sonne entfernt sich. Was passiert? Wenn du nur besser sehen könntest. Wenn nur deine Augen nicht pupillenlose Fleischbälle wären. Du würdest die Saugstelle sehen. Die Stelle an der Wand unter dir, die langsam nach außen gezogen wird. Bis die erste Faser reißt und aus einer der quer verlaufenden Pulsstreben eine Blutrose in deine feuchte Atmosphäre eintritt und sich ausbreitet und deine Haut, deine papierene Haut, befleckt. Wenn nur deine Hände entwickelt wären und nicht Klumpen flossenartiger Muskeln. Wenn du nur schwimmen könntest. Du könntest die Stelle heilen, die Stränge der Höhlenhaut zusammenhalten und den Sog stoppen. Du könntest dich festhalten. Du könntest fliehen. Du würdest nicht im Strom verschwinden müssen. Du könntest leben. Wenn du

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