Euro Psycho
Kostüm des Maskottchens beschmierte … Lazor Durans vergebliches Zugreifen, die entsetzten Worte seines Bodyguards … Es kommt alles wieder, verhöhnt mich … Die Menschen, die ich gekillt habe … Der Übersetzer, der mir geholfen hat, Nino zu kriegen … Die Leben, die ich beendet habe … Zerrissene Gesichter, verstümmelte Körper und weinende Augen bedrängen mich, wollen ihre Rache, mein Bewusstsein dröhnt bei all dieser Grausamkeit.
Jesus Christus.
Ihr alle habt es verdient. Ihr nutzlosen Pisse-Trinker.
Weil ich gerade wirklich an gar nichts denke, ohnmächtig, obwohl ich aus irgendeinem Grund einen Fetzen des Titelsongs von Chitty Chitty Bang Bang höre. Außerdem fühlt es sich an, als ob ich weggezogen und auf dem kalten Boden entlanggeschleift werde, dann hochgehoben – hochgehievt eher – und langsam in etwas Enges und Dunkles hineingelegt werde.
Ich liege bewusstlos da, während meinen Jungs in der Umkleide erzählt wird – wie ich später erfahre –, dass ich beschlossen hätte, nicht zu spielen. Die Spieler, die vom verwirrten Vik Dink zusammengerufen worden sind, während die Startelf neu formiert und der UEFA durchgegeben wird, um sie an die Journalisten und TV -Experten und alle anderen Fickfressen weiterzuleiten.
Hauptsächlich liege ich hier – seufze ich? Ich weiß es nicht –, während Moderatoren die Meldung von meiner Nichtberücksichtigung an ihre fassungslosen Zuschauer weitergeben. Ich liege immer noch da, als die Kinder von der McDonald’s-Spielereskorte die Hände unserer Jungs nehmen, als die Coca-Cola-Flaggenträger die Mannschaften aufs Spielfeld führen, als die Nationalhymnen losbrettern. Ich liege dort während des Gedenkens an den vermissten freiwilligen Helfer. Als eine Schweigeminute für das Turnier-Maskottchen abgehalten wird. Im ganzen Stadion, auf dem ganzen Kontinent, der Welt.
Und ich liege immer noch da, als das Spiel angepfiffen wird und die Repräsentanten aus den Club-Prestige-Platinum-Logen zusehen. Die Repräsentanten von Intersport, dem offiziellen Sportartikelhändler der Euro 2012. Von Hyundai-Kia, in deren Be There With Hyundai -Wettbewerb inspirierende Parolen ausgewählt wurden, mit denen man die sechzehn Mannschaftsbusse der Euro 2012 brandete. Die Repräsentanten von Warner Brothers Consumer Products, deren Lizensierungprogramm-Management der Euro 2012 eine Produktserie vorstellte, die sowohl unwiderstehlich als auch innovativ war. Und die Repräsentanten des Reifengiganten Continental, die wieder einmal die Leidenschaft, Präzision und den Mannschaftsgeist dieses kontinentalen Aushängeschilds mit den Attributen ihrer eigenen Premiummarke verbinden können.
Aber jetzt komme ich zurück. Meine Augen öffnen sich im Dunkeln, während auf dem Spielfeld des 63105 Zuschauer fassenden Olympiastadions Mittelfeldspieler Andrés Iniesta – von Vipnet360 zu Spaniens populärstem Internet-Sportler gekürt – einen unfassbaren Pass zu seinem spanischen Mannschaftskollegen Xavi Alonso tickt, der einen Querpass auf ihren marodierenden Rechtsverteidiger Sergio Ramos steckt – den Gewinner des » FIFA World Cup’s Castrol Index 2010« –, der den Ball mit einer Berührung kontrolliert, seinen Kopf hochnimmt und kurz schaut, um ihn dann weiterzuspielen.
Spanien macht Druck.
Sie spielen uns schwindlig. Im Quadrat.
Auf der Tribüne umklammern unsere Fans Craggsys Galeone in regungsloser Verzweiflung. In ihrer Loge umklammert Princess Davids Hand. Und in meiner – wo bin ich? Ich lege meine Hand an meinen Kopf, fühle die heftige Blutkruste. Wie lange war ich weg?
32 Minuten, wie ich später rausfinden werde. Denn wir sind schon Mitte der ersten Halbzeit. Und was ist das? Irgendein Lichtspalt – eine schmale Linie – etwas entfernt links von mir. Und worauf liege ich? Da ist etwas Weiches unter meinem Rücken.
Ich bewege eine Hand in Richtung des Schlitzes, wo es weniger dunkel ist. Schlage mit meiner Handfläche gegen etwas.
Was? Ich schlage noch einmal, lass es dann, rubble dran.
Holz. Das weniger Dunkle ist eine Spalte im Holz. Die Spalte zwischen zwei Türen? Und das anschmiegsame, weiche Zeug neben mir? … Dünne Plastikschicht. Ich bohre einen Fingernagel rein, reiße sie auf, fühle aufgerolltes Papier. Ein gewaltiger Stapel Klopapier.
Ich befinde mich in einem verfickten Schrank.
Ich drücke so heftig ich kann gegen die Tür. Nichts. Ich stehe, haue meinen Kopf gegen irgendwas, zucke zurück, setze mich wieder hin, gehe vorsichtig in
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