Euro Psycho
Ordnung, ist okay.«
»Und wohin haben Sie den Schlag bekommen?«
»Gegen das Knie.«
»Okay. Hat es wehgetan?«
»Wann?«
»Damals.«
»Ein bisschen.«
»Okay. Schmerzt es jetzt?«
»Mein Knie?«
»Ja, Mister King.«
»Nein.«
»Okay.«
Diese Sorge um mein Knie, ich verstehe sie. Es ist in Ordnung, das Knie ist in Ordnung, aber ich bin der Hoffnungsträger der Nation. Ich bin ein wichtiger Spieler. Mit wichtigen Knien.
»Nächste Frage«, sage ich völlig kontrolliert. Ich nicke irgendeinem trostlosen Arschloch in Reihe zwei zu.
»Atabak Kovar, Georgian Independent News. Eine Menge Leute sind verwirrt darüber, dass der erfolgreichste Trainer in der Geschichte des Landes gefeuert worden ist und durch einen ausländischen ersetzt wurde …«
»Nächste Frage!« Ich deute auf einen rotgesichtigen Typen, der sich die Reste eines Gratis-Croissants von seinen Lippen zupft. »Badry Beridze, Staatsfernsehen. Wie lange hat es nach dem Spiel noch geschmerzt?«
»Was?«
»Ihr Knie.«
Okay. Okay. Das ist schon besser.
»Einen Tag oder so.«
»Und wie stark waren die Schmerzen?«
»Was?«
»Sagen wir auf einer Skala von eins bis zehn, Mister King.«
»Und zehn wäre, wenn ich meinen Körper bei einem Fallschirmsprung zertrümmert hätte, ja?«
»Wenn Sie mögen.«
»Dann würde ich sagen: 0,75.«
»Okay.«
»Vielleicht eine eins.«
»Welche Art von Schmerz war das?«
»Stechend.«
»Nicht pochend?«
»Nein.«
»Oder schneidend?«
»Definitiv nicht schneidend.«
»Okay. Wo etwa am Knie hat es geschmerzt?«
»Im Knie.«
»Tief drinnen?«
»Direkt unter der Kniescheibe – der Patella –, aber ein bisschen seitlich.«
»Linke Seite?«
»Ja.«
Ich nicke einem anderen Journalisten im hinteren Teil des Raums zu, der große schwarze Ringe unter seinen schwarzen Augen hat. »Pasha Sultanow, freier Reporter …«
»Ja, fahren Sie fort.«
»Viele Menschen sind besorgt wegen der Art, wie Ihr Fußballverband ausländische Spieler angeworben hat …«
»Nächste Frage.«
Aber er will die Klappe nicht halten.
»Viele Menschen sagen, dass es da eine Verbindung zwischen Ihrer Clubmannschaft – dem königlichen Team, das Meister geworden und unverändert in die Euro gegangen ist –, also dass es eine Verbindung gibt zu König Davids neuer politischer Partei, Forza Craggsy , die bei den Wahlen im September an den Start geht …«
»Sehen Sie, das Knie ist in Ordnung. Ich werde an der Euro teilnehmen. Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben. Guten Tag.«
Eliteklasse-Stadion
Ich betrachte ihr Team: die geölten Oberschenkel, die Haarreife, die gezupften Augenbrauen.
»Dieser Haufen ist nichts …«, brülle ich den Spielertunnel runter und wecke meine Mannschaft aus ehemaligen Postboten und Tabakwarenhändlern auf. Und ja, okay, unser Gegner, die italienische Nationalmannschaft, konnte den Weltmeisterpokal bereits bei vier Turnieren in die Höhe stemmen, den EM -Pokal immerhin schon einmal. In der Qualifikation wirkten sie unschlagbar. Aber mal im Ernst: Gehe über diese weiße Linie, und die Form zählt nichts mehr.
Wir spielen nicht für die Geschichte. Wir spielen gegen Männer.
Ja, Männer. Keine Kinder. Weshalb also sind so viele Kinder im Spielertunnel der Donbass Arena hier in der Ukraine, so kurz vor dem Anstoß zu unserem ersten Gruppenspiel? Wurde das Stadion etwa doppelt ausverkauft? Spielt hier am Ende gleich diese australische Kiddie-Band The Wiggles?
Nein, natürlich nicht.
Denn diese Kinder stehen vor uns direkt am Platz und warten darauf, als Mitglieder des Coca-Cola-Fahnenträger-Programms riesige Nationalflaggen zu entrollen.
Während andere Kinder stolz und ängstlich neben jedem von uns Spielern stehen und darauf warten, unsere athletischen Hände mit ihren eigenen kleinen weichen Grabschern zu greifen und aufs Spielefeld rauszugehen. Sie sind Teil der exklusiven McDonald’s-Spielereskorte. Natürlich. Das erklärt auch das kitamäßige Erscheinungsbild des Spielertunnels. Aber es erklärt nicht – ich blicke runter zu meinem Einlaufkind, grimassiere und gucke weg –, weshalb McDonald’s, immerhin einer von sechs globalen UEFA -Premium-Sponsoren, das offizielle Schnellrestaurant des Turniers, Werberechte bei TV -Übertragungen in Europa inklusive – also weshalb McDonald’s meinem Einlaufkind gestattet hat, fett zu sein?
Mein Einlaufkind ist definitiv ein Dicki. Um ehrlich und fair zu sein – ich habe einen anderen kleinen Wichser bei den Flaggenträgern –,
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