Euro Psycho
mein Einlaufkind ist eins von den Coca-Cola-Kids. Ich denke, das ist falsch. Weil mit jedem Fitzelchen ihrer Marketingstrategie, so scheint es doch, wollen Coca-Cola und McDonald’s mit herausragender Athletik und Fleiß verbunden werden, mit Sport, Lebensfreude und Gesundheit. Und eben nicht mit pummeligen Kindern.
Es gibt überhaupt keine Verbindung zwischen ihren Produkten und fetten Jungs. Ganz im Gegenteil.
Und beantwortet mir das: Wollt ihr – ihr bürgerlichen Sesselfurzer – fette Kinder auf eurem Panasonic Viera TX-P50VT30B sehen, für den ihr gerade geblecht habt, um darauf die Euro 2012 in feinstem HD genießen zu können? Und noch wichtiger: Will ich meine feingliedrige Hand von der feuchten Pfote eines schwabbeligen Zwergs angrapschen lassen?
Eindeutig nein.
Also warum sind die hier?
Ein Versehen? Möglich, aber unwahrscheinlich, würde ich sagen, angesichts der kolossalen Geradlinigkeit dieser beiden Konzern-Giganten. Ist es ein nicht zu kontrollierender Faktor? Ja, wahrscheinlich. Stellt euch das mal vor: Coca-Cola – der dritte weltweite Partner der UEFA und Inhaber der exklusiven Vermarktungsrechte für non-alkoholische Getränke bei dem Turnier – würde auf seinen Dosen einen Wettbewerb veranstalten, bei dem man einen Platz als Fahnenträger gewinnen könnte. Sie könnten im Kleingedruckten schlecht festlegen, dass zum Wettbewerb nur Leute mit einem gewissen Body-Mass-Index zugelassen sind, oder? Bei all den Verfettungstendenzen in der Gesellschaft würde dies sonst in einem Aufstand münden.
Oder?
Sagen wir, der Clown mit dem goldenen »M« veranstaltet einen Wettbewerb vom Typ: »Sag uns in maximal 15 Wörtern, warum du mit der Nationalmannschaft auflaufen willst.« Wäre es da nicht seltsam, die Teilnahmebedingungen mit dem Zusatz zu versehen: »Fette Fotzen nicht zugelassen«? Und würden solche größenbezogenen Einschränkungen nicht auch für einen Aufschrei der Empörung unter Dicken sorgen?
Also in diesem Szenario – und ich weiß nicht, ob das der Fall ist, ich spekuliere nur – ist es für deine Sponsoren ein Lotteriespiel, was die Auswahl der Kinder betrifft. Sie müssen hoffen, dass die Körperform zu ihren gesunden Marken bei all den Wettbewerben passt, die sie sponsern.
Im Fall dieses Spiels sind sie jedenfalls schlimm im Stich gelassen worden. Die Integrität ihrer Marken wurde durch Bauchfett erstickt.
Mir ist schlecht.
»Dick Fick«, sage ich zu unserem Keeper Arnan Varnan, der im Spielertunnel vor mir steht. »Kids tauschen? Mein Junge ist scheiße!«
»Was?«, sagt er, dreht sein Gesicht zu mir um und blickt herunter auf mein Einlaufkind, das errötet und schnauft.
»Das ist eine Anweisung. Gib mir dein Kind. Und nimm diesen Ficker.«
»Kev, Jesus«, sagt Dick Fick und blickt mich finster und mit Abneigung an, als ob es mein Fehler wäre, dass der Junge sich gehen lässt. Ich schiebe meinen Jungen vor und greife mir Arnans schlankeres Modell.
Puh, gerade noch rechtzeitig, denn wir gehen schon aus dem Tunnel heraus und betreten die Donbass Arena.
»Blut!«, schreien alle Jungs.
Dann folgen die Aufstellungen und die Hymnen: ihre seltsam fetzige und unsere melancholische und schwere Gefühlsduselei.
Hände geben, Wimpeltausch, Münzwurf.
Als der Schiri anpfeift und Italiens in den US A geborener Stürmer Giuseppi Rossi den Ball zu ihrem chronisch schlecht gelaunten Antonio Cassano rübertickt, hebt sich meine Brust. Denn mit dieser kleinen Furzpfeife habe ich schon den Rubikon überquert. Meine Emigration – meine Transformation – ist vollendet. Ich schaue mich im Stadion um …
(Gewinner des Preises »Beste Konstruktion der Ukraine 2009«. Infrarot-Heizsystem. Eines von nur 23 UEFA -Eliteklasse-Stadien. Weltweit.)
… und ich fühle mich gut. Ein bisschen abergläubisch, weil ich ein Nationaltrikot ohne die Three Lions trage, ein bisschen blass, aber tatsächlich nicht so schlecht. Weil dieser Haufen an mich glaubt, mir den Rücken gestärkt hat. Und ich werde sie nicht enttäuschen …
Aber können wir es gewinnen? Können wir den Postsack, den Tabakwarenladen-Tresen hinter uns lassen und am Ende das bedeutende Silbergeschirr in die Höhe heben? Warum nicht? Hat nicht auch Dean Gold aus Felixstowe 14 Eier auf dem Rücken seiner Hand balanciert? Haben wir nicht einen Film mit dem Titel Sexzwerge 9 gedreht? Also rase ich auf Italiens Antonio Cassano zu, grätsche in ihn hinein und verfehle den Ball nur ganz knapp. Dafür habe ich ihnen unser Vorhaben
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