Euro Psycho
Twitter-Follower, die ich verloren habe, und die Fotzen, die ich nicht geknallt habe.«
Gut. Fein. Fast da.
»Und das ist für dich. Wann wirst du endlich kapieren, dass Molekular-Küche out ist?«
Befriedigt. Erledigt. Ich drehe mich um, blicke durch die offene Badezimmertür, sehe den japanischen Ominitub-24-Jet-Whirlpool. Ich mache mich sauber, plündere den Safe, sodass es nach einem Überfall aussieht, dann schlüpfe ich unbemerkt aus dem Donezk Palace Hotel.
Ich habe mich gerächt. Ich habe meinen Beweis eingesackt.
Jetzt muss ich nur noch ein Turnierchen gewinnen, dann werde ich meinen Ruf wiederherstellen.
Echtzeit-Daten
»Judas«, flüstert ein ganz bestimmter englischer Spieler, als wir für den Eckball nach vorne gehen.
»Verräter«, fügt ein anderer hinzu, als er mir in die Rippen stößt.
Wir sind in der PGE Arena in Danzig beim Viertelfinale gegen England. Das Spiel ist nicht das Thema, wir werden sie zerstören. Klar. Ich meine, sie hassen ihren Trainer, sie hassen sich alle untereinander und sie wollen dringend nach Hause auf die Couch zu ihrer Xbox.
Die Premier League wirkt heute wie das Römische Imperium in seinen letzten Tagen, wie ein markenbewusstes Babylon. So ähnlich nannte es Vik Dink in seiner Motivationsansprache vor dem Spiel. Ich war zu sehr hin- und hergerissen, um sie selbst abzuliefern. Weil es nicht nur elf gegen elf sind. Es nicht nur 90 Minuten sind. Dieses Spiel ist ein Schmelztiegel der Emotionen.
Ihr könnt euch vorstellen, womit die britannischen Rothemden rübergekommen sind, nachdem wir gegen Capellos Männer ausgelost worden waren: Der korrupte Kev spielt in einer korrupten Liga, beugt die Regeln, um das Land zu wechseln. Englands Ex-Kapitän stellt sich gegen sie. Englands Ex-Käpt’n ist reif für eine Tracht Prügel.
Und so weiter. Und so weiter.
Nicht, dass ich diese Zeitungen alle gelesen hätte. Drei Stunden am Tag. Mehr nicht. Es ist nicht bloß so, dass man von anderen eins auf die Fresse kriegt. Ich selbst mach mir ja auch Druck. Ich meine, ich spiele gegen die drei Löwen. Ich bin ein angeschossenes Tier da draußen, ein Mann mit zwei Seelen – mindestens –, ein fußballerischer Hamlet, der unbedingt mit seiner neuen Mannschaft gewinnen will. Doch ich muss mich nach hinten absichern gegen den Sog des emotionalen Rückschlags. Wenn ihr so wollt.
Die drei Löwen sollen bei mir keine Schwäche spüren. Und ich kann meine neuen Jungs nicht im Stich lassen.
Dann entdecke ich ihn, als ich meinen Weg raus zur Eckfahne abschließe. Natürlich. Ich kann mein Hirn aus dem tobenden Konflikt herausnehmen, indem ich Rio Ferdinand hochnehme.
Ich trabe rüber, stehe direkt neben ihm, stehe auf seinen Zehenspitzen, um die korrekte Ausdrucksweise zu nutzen.
»Du warst doch Executive Produzent des 2009er-Films Dead Man Running ?«, frage ich, während wir uns im englischen Strafraum drängeln und darauf warten, dass Hagop Fanusians Ecke reingesegelt kommt.
Aber er antwortet nicht, nickt mir nur irgendwie zu. Er wirkt abwesend.
»Weißt du, in dem Film wird Mister Thigo von 50 Cent gespielt, der die an den Rollstuhl gefesselte Mutter von Tamer Hassans Nick kidnappt.«
Wieder antwortet Rio nicht, guckt nur böse, versucht sich darauf zu konzentrieren, diese wichtige Standardsituation für sich zu nutzen. »Gut, ich hab den Film gesehen«, versichere ich, lasse ihn stehen, damit er mir folgt, ehe ich brutal vorwärts beschleunige und sage: »Und er ist verfickte Scheiße.«
Ich springe instinktiv in die Luft, erwische den Eckball Fanusians – daran haben wir im Training gearbeitet – und streife ihn mit einem Teil meines Kopfes, der in dem elitär-professionellen Spiel bekannt ist als die Seite meines Kopfes. Immer noch in der Luft, drehe ich mich, um mitzubekommen, wie der Ball über Ferdinands Versuch einer Rettung per Kopf hinwegsegelt, um dann den ineffektiven, can-canesken Beinschlag von Englands Verteidiger Ashley Cole zu beobachten und den »Du könntest noch einen weiteren Arm am Ende deines Arms haben und würdest ihn dennoch nicht erreichen«-Hechtsprung von Englands Schlussmann Joe Hart.
Weil ich ihre Verteidigung zerstört habe, fliegt der Ball rein.
Oder würde. Wenn es nicht Tatsache wäre, dass er vorbeigeköpft ist. Vorbei, bis völlig unerwartet der Schuh von Ex-Postler Shawo Mamedow ganz erstaunlich weit nach vorn zuckt, um den Ball gerade noch anzuticken. Gerade genug, um ihn ins wartende Netz zu befördern.
Ich hab den Torschrei auf
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