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einzigartige multi-ethnische Gesellschaftsstruktur Bosnien-Herzegowinas. 2 Mit dem Friedensabkommen von Dayton (November 1995) errichtete die Internationale Staatengemeinschaft ein Quasi-Protektorat, das von einem Hohen Repräsentanten geleitet und von einer internationalen Friedenstruppe (SFOR) militärisch abgesichert wird.
Das Dayton-Abkommen beinhaltete unter anderem eine Verfassung für »Bosnien und Herzegowina«, die den Staat in zwei »Entitäten«, die Bosniakisch-Kroatische Föderation (BKF) und die Serbische Republik (RS) gliederte, sowie die Kooperation zwischen diesen beiden und den drei Volksgruppen regelte. Die Verfassung errichtete auf der gesamtstaatlichen Ebene ein Parlament, das aus einer direkt gewählten Bürgerkammer und einer mit gewählten Vertretern der Entitätenparlamente besetzten Nationenkammer besteht, ein vom Parlament gewähltes dreiköpfiges Präsidium, einen Ministerrat,
ein Verfassungsgericht und eine Notenbank. Die drei Volksgruppen sind in allen gesamtstaatlichen Institutionen auf paritätischer Basis repräsentiert. Die Entitäten sind für alle Politikbereiche zuständig, die nicht ausdrücklich von der Verfassung als Aufgaben des Gesamtstaates festgelegt sind. 3
Bei den ersten landesweiten Wahlen nach Abschluss des Dayton-Abkommens (September 1996) bestätigte die Bevölkerung die nationalistischen politischen Eliten aus der Kriegszeit. Im September 1998 erzielten die nationalistischen Parteien bei den gesamtstaatlichen Wahlen erneut eine Mehrheit.
2. Aktuelle Probleme des Friedensprozesses
Die in der Verfassung vorgesehenen gemeinsamen Institutionen Bosnien-Herzegowinas werden noch immer in ihrer Funktion durch Konflikte zwischen den Vertretern der drei Volksgruppen beeinträchtigt. Angesichts dieser Probleme stattete die Internationale Staatengemeinschaft das Mandat des Hohen Beauftragten, das seit Mai 2002 der Brite Paddy Ashdown ausübt, zunehmend mit weiteren Kompetenzen aus. 4 Lord Ashdown und seine Vorgänger haben wichtige Gesetze häufig in eigener Verantwortung erlassen, um politische Blockaden zu überwinden. Gegen zähe Widerstände von Nationalisten vor allem aus der kroatischen und serbischen Volksgruppe gelang es, weitere integrative Elemente in der Staatsorganisation zu verankern. Im November 1999 vereinbarte die gemeinsame Präsidentschaft, einen Grenzschutz, ein ständiges Sekretariat und eine neue Struktur des Ministerrates einzurichten. Das Verfassungsgericht des Gesamtstaates entschied im Juli 2000, dass die drei großen Volksgruppen in beiden Entitäten den Status »konstituierender Völker« haben und in Regierung, Verwaltung und Justiz jeder Entität angemessen repräsentiert sein müssen. Im März 2002 einigten sich die großen Parteien der Entitäten darauf, die Verfassungen der Entitäten entsprechend zu ändern. Seit Oktober 2002 besteht die RS-Regierung zur Hälfte aus bosniakischen und kroatischen Ministern, und drei bosnisch-serbische Minister partizipieren in der BKF-Regierung. Auch in den Entitäten-Parlamenten wurden Vertretungen aller drei Volksgruppen aufgebaut.
Bei den im Oktober 2002 abgehaltenen Parlaments-, Präsidentschafts-und Kantonswahlen auf gesamtstaatlicher und Entitätenebene erreichten die nationalistischen Parteien erneut deutliche Mehrheiten in den jeweiligen Volksgruppen. Die eine inter-ethnische Kooperation anstrebende, gemäßigte
Sozialdemokratische Partei und ihre Koalitionspartner in der »Allianz für den Wandel« mussten deutliche Stimmenverluste hinnehmen. Die nicht-nationalistischen Parteien hatten die vorhergehenden Wahlen vom November 2000 gewonnen und die Regierung gebildet.
Vor allem die HDZ radikalisierte ihren Widerstand gegen die gesamtstaatlichen Strukturen. Sie gründete eine »Kroatische Nationalversammlung«, die im März 2001 eine eigene kroatische Republik innerhalb Bosnien-Herzegowinas forderte und bei einer Ablehnung dieser Forderung mit der Abspaltung der kroatisch besiedelten Gebiete drohte. Der Hohe Beauftragte enthob daraufhin das kroatische Mitglied des Staatspräsidiums, den HDZ-Chef Ante Jelavic, seines Amtes wegen Verstoßes gegen das Dayton-Abkommen. Die HDZ veranstaltete während der Parlamentswahlen ein Referendum, in dem die ethnisch kroatischen Wähler der HDZ mehrheitlich den Aufbau von Institutionen eines eigenen kroatischen Teilstaates in Bosnien forderten. Das von der OSZE und vom Hohen Beauftragten als illegal bezeichnete Referendum stellte die Autorität der internationalen
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