Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Erweiterung, die außenpolitischen Herausforderungen und die notwendige Effektivierung – in den Hintergrund gedrängt. Nach einer halbherzigen Reform ihrer Institutionen kann die Europäische Union aber kaum die Erweiterungsrunde ohne Lähmungserscheinungen
überstehen. Darum ist ein weiterer Reformanlauf unumgänglich, wenn die Handlungs- und Erweiterungsfähigkeit der Union nicht im Reformstau stecken bleiben soll. Die notwendigen institutionellen Reformen der Union bleiben Stückwerk. Die Beschränkung auf 20 Kommissare löst nicht deren Auswahl bei mehr als 20 Mitgliedstaaten. Die Anpassung der Stimmgewichtung im Rat an das Verhältnis von kleinen zu großen Mitgliedstaaten wird verschoben, bereitet so also nicht die Erweiterung vor. Die Rechte des Europäischen Parlamentes werden zwar gestärkt, jedoch nur in unzureichender Weise. Will die Union tatsächlich neue Mitgliedstaaten aufnehmen, dann ist eine weitere Reformrunde mit substanziellen Anpassungen der auf sechs Mitgliedstaaten ausgerichteten Gemeinschaftsorgane unumgänglich.
Positiv hingegen sind die Fortschritte im Bereich der Innen- und Rechtspolitik. Durch die weitgehende Vergemeinschaftung der dritten Säule des Maastrichter Vertrages kann die Union nun in Politikfeldern tätig werden, welche die Bürger Europas stark bewegen. Zu fordern bleibt aber, dass die Verlagerung dieser Rechte von den nationalen Parlamenten in den europäischen Raum auch durch entsprechende Kontrollrechte des Europäischen Parlamentes demokratisch abgefedert werden muss. Hier besteht Nachbesserungsbedarf. Ohne demokratische Kontrolle der Innen- und Justizpolitik wachsen Zentralisierungszwänge – und das zu Recht.
Als entscheidende Zäsur ist die Einführung eines Flexibilitätsartikels in das Vertragswerk anzusehen. Auf dieser Grundlage wird die Differenzierung der Integration das entscheidende Handlungsprinzip für die Zukunft einer erweiterten Union. 16 Die Einführung der Flexibilitätsklauseln ergibt aber nur Sinn, wenn die Entscheidung über ihren Einsatz nicht einstimmig getroffen werden muss. Würden die gemeinsam beschlossenen Rahmenbedingungen einer Differenzierung eingehalten, dann müssten die Staaten, die dazu bereit sind, auch ohne die Zustimmung aller Partner voranschreiten können. Amsterdam bindet jedoch die Flexibilisierung an die zunächst dazu erzielte Einstimmigkeit. Das Stückwerk von Amsterdam verlangt nach einer Komplettierung. Der Weg nach einem »Maastricht III« ist damit vorgezeichnet, will eine sich erweiternde Union das notwendige Minimum an Handlungsfähigkeit wahren. Das Fazit von Amsterdam kann daher nur lauten: Fortsetzung folgt.
Mit dem Vertrag von Nizza wird im Dezember 2000 schließlich versucht, die bestehenden Ungleichgewichte zu beheben und die Europäische Union handlungs- und erweiterungsfähig zu machen. Dabei eröffnet die Zukunftserklärung von Nizza die Chance, den Prozess der Integration mit der Schaffung eines verfassungsähnlichen Dokumentes zu krönen.
Denn wenn sich die Mitgliedstaaten auf die rechtsverbindliche Einbeziehung der in Nizza proklamierten Grundrechtecharta, eine klare Aufgabenteilung sowie eine spürbare Vereinfachung des Vertragswerkes einigen können, würden damit wichtige Bestandteile der Blaupausen eines föderal organisierten Europas in die Tat umgesetzt. Doch andererseits erscheinen die in der Zukunftserklärung formulierten Ziele geradezu vermessen, wenn man sich die konkreten Ergebnisse der Vertragsreform näher ansieht. Zwar gelingt eine Lockerung der Rahmenbedingungen für die Verstärkte Zusammenarbeit, mit deren Hilfe eine Gruppe von Staaten in manchen Bereichen schneller voranschreiten kann als andere. Auch wird durch die neue Sitzverteilung im Parlament in einer erweiterten Union die Bevölkerungsgröße ihrer Mitgliedstaaten, und insbesondere Deutschlands, etwas gerechter abgebildet. Dennoch kann Nizza die gesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Vor allem in den drei Kernbereichen der Regierungskonferenz – der Größe und Zusammensetzung der Kommission, der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen sowie einer neuen Stimmgewichtung im Rat – fallen die Ergebnisse ernüchternd aus. Nationale Begehrlichkeiten dominieren die Verhandlungen, und die Erwartungen an eine Umgestaltung des politischen Systems der Europäischen Union werden nicht erfüllt.
Deshalb erteilt der Europäische Rat im Dezember 2001 mit der Erklärung von Laeken einen breit angelegten Arbeitsauftrag: Die EU soll einer
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