Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Generalrevision unterzogen werden, mit dem Ziel, sie demokratischer, effizienter und transparenter zu gestalten. Die Europäische Union will sich eine Verfassung geben. Mit einem solchen Grundlagendokument sollen die angestrebten Ziele praxisnah mit Inhalten gefüllt werden. Die Vorarbeiten zu dieser großen Vertragsrevision soll ein Reformkonvent übernehmen. Die Konventsergebnisse werden einer Regierungskonferenz vorgelegt, die diese dann abschließend diskutieren und umsetzen soll. 17 Der Reformkonvent, der seine Arbeit am 28. Februar 2002 aufnimmt, hat 105 Mitglieder, darunter Vertreter der mitgliedstaatlichen Regierungen, der nationalen Parlamente, des Europäischen Parlamentes, der Kommission und der Regierungen und Parlamente der damaligen 13 Beitrittskandidaten. Als Präsident des Konvents wird Valéry Giscard d’Estaing eingesetzt. Der Konvent setzt sich mit folgenden Punkten der Reformagenda auseinander:
1. der Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der EU;
2. dem Verhältnis der Gemeinschaftsinstitutionen untereinander, um mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz zu erreichen;
3. den Verfahren und Instrumenten der Entscheidungsfindung und der Gesetzgebung;
4. der Vereinfachung des bestehenden Vertragswerkes und der Bündelung der wichtigsten Bestandteile in einem Grundvertrag.
Bis zu seiner letzten Sitzung am 10. Juli 2003 kann der Konvent auf 27 Plenarsitzungen und 50 Präsidiumssitzungen zurückblicken. Die elf Arbeitsgruppen tagen in dieser Zeit insgesamt 86 Mal. Daneben fanden hunderte informeller Sitzungen und Treffen statt, die ebenfalls Konventsarbeit leisten. 18 Die Aufgabe des Konvents, die Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz, wird mit der Überreichung des »Entwurfes eines Vertrags über eine Verfassung für Europa« an die italienische Präsidentschaft am 18. Juli 2003 erfüllt. Dieser umfangreiche Entwurf einer Europäischen Verfassung besteht aus zwei Präambeln, 465 Artikeln, fünf Protokollen und drei Erklärungen. In diesem in sich geschlossenen Text werden die Fundamente der europäischen Einigung neu vermessen. Damit wurde einiges erreicht, was bei Beginn der Arbeit des Konvents zunächst unmöglich erschien: Die Zusammenführung der bisherigen Verträge in einem Gesamtdokument. Die größte Errungenschaft dieser Verfassung ist es indes, dass sie die Charta der Grundrechte in den Status eines verbindlichen Rechtstextes erhebt. Doch auch die Ausdehnung der Mehrheitsentscheidungen im Rat der EU sowie die Stärkung des Europäischen Parlamentes im Gesetzgebungsverfahren der EU sind herausragende Ergebnisse der Konventsvorlage. In vielerlei Hinsicht bleiben jedoch Mängel bestehen, konnten Defizite aus 50 Jahren der Geschichte der europäischen Einigung nicht beseitigt werden: Das größte Defizit ist, dass nach zahlreichen vertraglichen Neuregelungen und Weiterentwicklungen heute kaum noch jemand weiß, wer in der EU eigentlich wofür zuständig ist; dies legt eine Vereinfachung der Verträge sowie eine klare Aufgabenteilung und Zuordnung von Kompetenzen nahe.
In der Summe jedoch stellen die Konventsergebnisse einen großen Schritt nach vorne dar; sie gehen weit über das hinaus, was eine Regierungskonferenz zu leisten in der Lage wäre. 19
Die Regierungskonferenz wird am 4. Oktober 2003 einberufen. Sie soll die vorgesehenen Vertragsänderungen beschließen, hat jedoch noch mit einer Reihe von offenen Fragen zu kämpfen. Das Scheitern des Gipfeltreffens des Europäischen Rates im Dezember 2003 in Brüssel bereitet den großen Hoffnungen auf eine Europäische Verfassung dann aber erst einmal ein Ende. Damit droht ein jahrelanger politischer Kraftaufwand, an dessen Ende eine auf künftige Herausforderungen bestens vorbereitete Europäische Union stehen sollte, ohne greifbares Ergebnis zu bleiben. Der irischen Präsidentschaft gelingt es jedoch auf dem Gipfel am 17./18. Juni 2004 eine Einigung herbeizuführen: Der »Vertrag über eine Verfassung für Europa« wird von den 25 Staats- und Regierungschefs am 29. Oktober 2004 auf dem römischen
Kapitol feierlich unterzeichnet. Die nationalen Ratifizierungsverfahren beginnen. Mit den negativen Voten im französischen und niederländischen Referendum im Frühsommer 2005 wird die Zukunft der EU-Verfassung höchst ungewiss. Das Scheitern des Verfassungstextes würde aber kein europäisches Nirwana bedeuten, sondern macht ein europäisches strategisches Denken, das eine neue Architektur
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