Europa nach dem Fall
Neuzuwanderer schwer, die Gesetze und die Lebensweise ihrer neuen Länder anzunehmen; einige weigerten sich beispielsweise, den Militärdienst abzuleisten. Es gab fast immer eine gewisse Rückwanderungsquote, doch die Mehrheit blieb in der neu angenommenen Heimat und wurde ein fester Bestandteil von ihr.
Das trifft auch für unsere heutige Zeit zu. Zu erwähnen sind die Beiträge der indischen Zuwanderer für das Vereinigte Königreich, der Chinesen, Vietnamesen und Koreaner für die Vereinigten Staaten und andere Weltgegenden, der Sikhs und Armenier, der Zyprioten und einer beträchtlichen Anzahl anderer Menschen. Polnische Gastarbeiter sind in ganz Europa willkommen und Filipinos in der ganzen Welt. In einer Zeit aggressiven Nationalismus gerieten einige ethnische Minderheiten unter Druck: Idi Amin warf die Inder aus Uganda und Gamal Abdel Nasser vertrieb Griechen, Italiener und andere Europäer wie auch die Juden aus Ägypten, auch wenn sie seit Generationen dort gelebt hatten. Die chinesischen Minderheiten gerieten in Südostasien unter Druck. Doch dabei handelte es sich um relativ kleine Gruppen, aber erst in Europa wurde die Frage der muslimischen Einwanderer zu einem größeren politischen Problem. Die Integration funktionierte nicht, zum Teil weil sie von den Neuankömmlingen nicht gewollt wurde. Der Multikulturalismus führte zur Entstehung von Parallelgesellschaften, was häufig negative Folgen hatte.
Unausweichlich führte das zu einer Gewissensprüfung: Wessen Fehler war es und wie konnte er behoben werden? Einer der Gründe war natürlich, dass die europäischen Staaten nicht daran gewohnt waren, Millionen von Fremden aufzunehmen, die in einer völlig anderen Kultur verwurzelt waren und kein besonderes Verlangen hatten, ihre alte Lebensweise gegen die ihrer neuen Heimat einzutauschen. Das ist kein spezifisch europäisches Phänomen. Es ist auf der ganzen Welt zu finden, ausgenommen lediglich Länder, die über lange Zeiträume in ihrer Geschichte stark vom Zustrom von Einwanderern abhängig waren, darunter Nordamerika, einige lateinamerikanische Länder, Kanada und Australien. Anderswo war die Abneigung gegen Fremde, selbst wenn deren Sprache, Religion und Kultur ähnlich waren, tief verwurzelt und weit verbreitet. Sogar das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Ländern war oft hart. Sie wurden häufig in Lagern zusammengepfercht, wurden manchmal ausgewiesen und erhielten nur selten die Staatsbürgerschaft, obwohl es keinen Mangel gab an Reden, in denen die Solidarität mit diesen verfolgten Brüdern und Schwestern heraufbeschworen wurde.
Es gab aber auch noch andere Gründe. Zunächst einmal verlief die Einwanderung von Muslimen nach Europa ziemlich ungeplant und unkontrolliert. Sie setzte sich noch lange Zeit fort, selbst nachdem klar geworden sein sollte, dass die Gastarbeiter nicht den Wunsch hatten, in ihre Ursprungsländer zurückzukehren, und lange nachdem sich offenbarte, dass es keine Arbeit für sie gab. In einem gewissen Sinn war diese Einwanderung eine Folge der imperialen Vergangenheit. Algerier hatten ein Anrecht, sich in Frankreich anzusiedeln, was ebenso für Westinder und die aus Uganda Vertriebenen in Großbritannien galt. Doch dieses Recht erstreckte sich nicht auf andere Einwanderergruppen, die in der Mehrheit lange nach der Zeit geboren waren, als die Kolonialmächte ihre früheren Besitzungen aufgegeben und diese Länder die Unabhängigkeit erlangt hatten. Es galt auch nicht für all diejenigen, die nach Deutschland, Schweden, Österreich oder Belgien gingen.
Es gab und gibt in gewisser Weise immer noch in einigen europäischen Ländern eine Denkrichtung, wonach an der fehlgeschlagenen Integration die europäischen Gesellschaften schuld seien, die den Einwanderern gegenüber nicht genügend guten Willen gezeigt hätten und keine ausreichenden Mittel in Wohngeld und andere Maßnahmen, darunter auch Bildung, investiert hätten. Doch die europäischen Gesellschaften waren nie gefragt worden, ob sie Millionen von neuen Nachbarn in ihrem Land haben wollten. Sie hatten bei allen möglichen Fragen, innen- wie außenpolitisch, das Wahlrecht, doch zu diesem ganz wesentlichen Thema hatte sie nie jemand konsultiert. Regierungen und Konzerne hatten dies initiiert. Hätten sie anders gehandelt, wenn sie die Folgen ihrer Politik vorhergesehen hätten?
Selbst diese Frage lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Einige wären wohl vorsichtiger gewesen
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