Europa nach dem Fall
hinsichtlich der Zuwanderung und der Gewährung von Asyl. Andere hätte es nicht gekümmert, weil sie glaubten, dass ihre Länder (und Europa generell) keinen besonderen Beitrag mehr zu leisten hätten, dass sie mehr oder weniger ihre historische Mission erfüllt hätten (wenn es je eine gegeben hatte) und dass die Aufrechterhaltung ihrer sozialen und kulturellen Identität in der modernen Welt nicht von überragender Bedeutung sei. Da sie unter Erschöpfung litten, war wohl die Zeit gekommen, die Fackel der Zivilisation an andere Völker, Religionen und ethnischen Gruppen weiterzureichen.
In einigen Fällen, wie bei Skandinavien und den Niederlanden, könnte ein aus den 1930er-Jahren herrührendes schlechtes Gewissen eine Rolle gespielt haben, da damals Flüchtlingen aus Nazideutschland in den meisten Fällen politisches Asyl verweigert worden war, auch wenn diese rassisch oder politisch verfolgt waren. Auch in Deutschland herrschte die Angst, als Rassist gebrandmarkt zu werden, wenn man Einwanderer zurückwies. Es ist selbst im Rückblick schwierig, herauszufinden, was die Behörden in diesen Ländern dachten – dass unkontrollierte Zuwanderung keine größeren Probleme mit sich bringe, dass die ökonomischen, sozialen und kulturellen Probleme gelöst werden würden und dass die Einwanderer eines Tages entweder wieder verschwinden oder gut integriert sein würden?
Das alles soll nicht heißen, dass sich selbst genügende europäische Gesellschaften ihre Tore hermetisch gegen alle Zuwanderer hätten verschließen sollen. Im Gegenteil, Europa brauchte bei seiner niedrigen Geburtenrate Einwanderer, um seine Wirtschaft aufrechtzuerhalten und zu erweitern, was die Vorbedingung für die Beibehaltung des Wohlfahrtsstaats war. Doch man brauchte gebildete Arbeitskräfte mit einer positiven Einstellung zum jeweiligen Land und seiner Gesellschaft. Diese Arbeitskräfte hätten sich produktiver Arbeit zuwenden sollen und nicht vom Tag ihrer Ankunft an zu Empfängern von Sozialleistungen werden dürfen. Prediger und Agitatoren, die ihre Schäfchen gegen das dekadente und sündige westliche Leben aufhetzten, hätten nicht willkommen geheißen und vom Staat unterstützt werden sollen. Sie hätten gleiche Rechte erhalten sollen, verbunden aber mit der Erwartung, dass sie sich in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht wie auch mit den Werten und vorherrschenden Normen verhielten. Wenn diese Gesetze und Normen sich nicht mit ihren Überzeugungen vertrugen, hätten sie ungehindert wieder gehen können; so war es schließlich in der Geschichte immer gewesen. Christen aus Mitteleuropa und Juden aus Osteuropa waren nach Amerika gegangen, eben weil sie sich diskriminiert oder verfolgt fühlten.
Die europäischen Regierungen und Gesellschaften waren jedoch nicht mehr selbstsicher. Sie waren nicht länger bereit, ihre Straßen zu fegen und ähnliche niedere Arbeiten zu verrichten. Im Establishment war kaum noch Stolz darüber vorhanden, zu einer bestimmten Nation (oder zu Europa) zu gehören; kultureller und moralischer Relativismus hatte sich breitgemacht. Solche Gesellschaften waren nicht in der Lage, Anleitungen und einen Kompass für Neuankömmlinge zu bieten, sondern waren höchst nachlässig. Die neu in diese Länder Kommenden mussten den Eindruck gewinnen, dass geltende Rechte und Normen ohne Weiteres ignoriert werden konnten.
Solche Ermüdungserscheinungen, gepaart mit kulturellem und moralischem Relativismus, mussten weitreichende Folgen haben, und europäische Gesellschaften werden nun damit leben müssen. Illegale Einwanderer nach Japan, China oder Singapur oder in praktisch jedes andere Land wären innerhalb von Tagen, wenn nicht Stunden in ihre Ursprungsländer zurückgeschickt worden. Die Vereinigten Staaten standen mit den mexikanischen Zuwanderern vor ähnlichen Problemen, aber diese Menschen wollten nicht die Scharia einführen. Illegale Einwanderer nach Europa durften bleiben. Doch selbst wenn die Behörden einen härteren Kurs eingeschlagen hätten, hätte das nur eine Minderheit betroffen, weil die meisten Mitglieder der Einwanderergemeinschaften mittlerweile die Staatsangehörigkeit ihres Gastlandes angenommen haben oder da geboren sind und genauso das Recht haben, dort zu wohnen, wie alle anderen.
In Verbindung mit anderen Bedrohungen Europas wird nun allmählich erkannt, wie sich das auf die Zukunft des Kontinents auswirken wird. Es bedeutet fast sicher das Ende von Europa als bedeutendem Spieler auf der
Weitere Kostenlose Bücher