Europa nach dem Fall
verpflichtet, für die universalen Grundwerte von Freiheit und Demokratie, für die Achtung der Rechtsstaatlichkeit, für die Einhaltung der Menschenrechte und grundlegender Freiheiten einzutreten, und zwar durch ihre Anwesenheit in internationalen Foren. Es ist auch festgehalten, dass die EU »über eine breite Palette an Werkzeugen verfügt, um die menschenrechtliche Dimension ihrer Außenpolitik durchzusetzen, darunter mehr als 30 Dialoge zu Menschenrechten mit dritten Ländern, acht Richtlinien zu Menschenrechten und reguläre Erklärungen«.
Was ist von solchen Erklärungen zu halten? Hinsichtlich eines der zuvor erwähnten und nicht ganz so wichtigen Punkte (»durch ihre Anwesenheit in internationalen Foren«) ist zu sagen, dass der Europäischen Union 2010 die Mitgliedschaft in der Generalversammlung der Vereinten Nationen verweigert wurde. Es ließe sich zu Recht argumentieren, dass eine solche Mitgliedschaft, was die Propagierung der Menschenrechte betrifft, überhaupt keinen Unterschied gemacht hätte, doch es spiegelte sicherlich das geringe Prestige und internationale Ansehen der EU wider.
Selbst die wohlwollendsten ausländischen Studien zur Bilanz der EU in dieser Hinsicht haben festgehalten, dass es der EU an Rhetorik nicht mangelt, dass aber die erzielten Ergebnisse weniger als bescheiden ausfallen. Selbst in den besten Zeiten (von den 1990er-Jahren bis etwa 2005) erwartete niemand Wunder von der EU in der Propagierung von Demokratie und Menschenrechten. Wenn die Forderungen der EU hinsichtlich Demokratie und Rechtssicherheit die Machterhaltung der herrschenden Eliten eines größeren Staats wie China oder Russland gefährden, werden diese unter keinen Umständen bereit sein, sie zu akzeptieren oder etwa Kompromisse einzugehen. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass das politische Überleben für diese Staaten wichtiger ist, als bei der Europäischen Union gut angeschrieben zu sein. Weit davon entfernt, auf dem Weg zu einem demokratischeren System und zu mehr Achtung vor dem Gesetz vorangekommen zu sein, sind die Entwicklungen in Russland und China während des letzten Jahrzehnts in die entgegengesetzte Richtung verlaufen. Immer wenn die EU oder einzelne westliche Staaten auf diesem Gebiet Rat angeboten oder Protest eingelegt haben, wurde ihnen in zunehmend schärferem Ton gesagt, sie sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.
Doch nicht nur Supermächte waren Ermahnungen seitens der EU unzugänglich. Das Gleiche gilt für die meisten anderen Länder. Ölproduzierende Länder mussten im Hinblick auf Europas Abhängigkeit bei der Energieversorgung mit großer Vorsicht behandelt werden, andere, weil sie zu Staatengruppen gehörten, die sich gegenseitigen Beistand boten, wie der Menschenrechtsrat der UNO, die Afrikanische Union, die Arabische Liga und die Organisation der Islamischen Konferenz. Die Organisation lateinamerikanischer Staaten hat sich stets geweigert, einen Standpunkt zu beziehen, wenn menschenrechtliche Probleme in Venezuela zur Sprache kommen. Eine Untersuchung der Bemühungen der EU, eine demokratische Regierungsführung in der arabischen Welt zu fördern, kommt zu dem Schluss, dass die EU es weder geschafft hat, den Widerstand der arabischen Regime zu überwinden, noch die lokalen Reformkräfte zu konsolidieren. Es sollte jedenfalls festgehalten werden, dass die »Reformkräfte« meist die Muslimbruderschaft und verbündete Organisationen waren – unter verschiedenen Bezeichnungen.
Dieses bedauerliche Ergebnis ist auf drei Faktoren zurückzuführen: mangelnde Klarheit, Konflikt der Prioritäten und Konflikt der Interessen. Von diesen drei Ursachen ist die dritte zweifellos die bei Weitem wichtigste – mangelnde Klarheit und ein Konflikt der Prioritäten lassen sich überwinden, doch ein Interessenkonflikt dürfte meist fundamental sein. Was über die arabischen Länder gesagt wurde, gilt für den Rest der Welt, vielleicht mit der Ausnahme einiger isolierter, kleiner und machtloser Länder. Doch wenn die EU ihre Bemühungen um die Menschenrechte auf diese Länder unter Ausschluss aller anderen Länder konzentrieren würde, von denen einige mächtiger und besser vernetzt sind, würde sie sich offenkundiger Kritik, wenn nicht gar der Lächerlichkeit aussetzen.
Was kann Europa in seinem gegenwärtigen Zustand tun, um das zu propagieren, was es als seine Kernwerte ansieht? Die Propagierung von Menschenrechten und Demokratie auf europäischer Seite, selbst auf rein
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