Europa nach dem Fall
Dissonanzen lauter gewesen.
Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis Eine kurze Erzählung vom Antichrist wiederentdeckt wird. Das ist eine verblüffende theologisch-politische und futuristische Abhandlung, 1900 veröffentlicht, welche die chinesische (mongolische) Invasion Russlands und Europas sowie die Herrschaft oder das Joch über diese Länder beschreibt. Geschrieben wurde sie von Wladimir Solowjew, einem bedeutenden russischen Denker. In der Abhandlung sind die europäischen Regierungen, angeführt von Freimaurern, in eine letzte, entscheidende Schlacht gegen die Muslime verwickelt, und die Mongolen machen sich diese Situation zunutze, fallen in Europa ein und unterwerfen es. In der Zwischenzeit haben sich die Juden in Palästina niedergelassen und Jerusalem ist wieder eine mächtige Stadt geworden. Zu diesem Zeitpunkt taucht Christus der Heiland in Jerusalem auf – doch bald stellt sich heraus, dass er in Wirklichkeit der gut getarnte Antichrist ist. Doch alles geht gut aus: Das mongolische Joch dauert nur ein halbes Jahrhundert und darauf folgt ein Jahrtausend von Frieden und wahrhaft christlichem Geist.
Kehren wir zur realen Welt zurück: China ist in Afrika sehr aktiv gewesen und hat Minen aufgekauft oder gepachtet, wo seltene Mineralien gefördert werden, was in der EU Befürchtungen ausgelöst hat, da dies bedeutete, dass die Europäer es in Zukunft schwerer haben würden, die Rohstoffe zu erhalten, die sie gleichfalls brauchten. China ist in Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und anderen europäischen Staaten, die von der Wirtschaftskrise schwer betroffen waren, sehr aktiv geworden. Chinesische Gesandte versprachen, diesen Staaten bei ihren Schwierigkeiten zu helfen, indem sie lokale Unternehmen kauften, die vielversprechend, aber in Geldnot waren. Sie investierten ferner 400 Millionen Euro in spanische Staatsanleihen und versprachen anderswo ähnliche Hilfeleistungen. Es versteht sich von selbst, dass diese Erwerbungen nicht humanitären Charakters waren, sondern darauf abzielten, den größtmöglichen politischen Einfluss bei minimaler Investition zu erlangen. In der EU waren einige besorgt über das, was sie als gefährliche Übernahme strategisch wichtiger europäischer Betriebsvermögen erachteten.
Das Anwachsen der chinesischen Macht – politisch, wirtschaftlich und militärisch – musste unter den asiatischen Nachbarn Besorgnis erregen und wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach dazu verleiten, nach einem Gegengewicht zu suchen. Chinas neues starkes Engagement in Afrika hat auch Widerstand hervorgerufen. China ist in Indien und Südostasien nie beliebt gewesen. Die Chinesen haben Asien häufig und großzügig eine künftige Wohlstandsanrainerzone verheißen, doch die Skepsis unter ihren Nachbarn ist tief verwurzelt. Bisher ist der chinesische Druck sporadisch und begrenzt gewesen, doch chinesische Diplomaten haben nicht gezögert, ihre Nachbarn darauf hinzuweisen, dass einige Staaten groß sind, andere hingegen klein, und dass sie die offensichtlichen Schlussfolgerungen ziehen sollten, dass kleine Staaten sich wie kleine Staaten benehmen sollten. Die Zeit wird weisen, wie weit diese offensichtlichen Schlussfolgerungen gehen werden.
Was wird Europas Platz in einer neuen Weltordnung sein, mit China als stärkster Macht? Die chinesische Führung soll angeblich die wichtigsten europäischen Schriften zu Aufstieg und Fall von Weltmächten gelesen haben. Welche Lektionen wird sie daraus ziehen? Sie hat auch Carl Schmitt gelesen, den führenden deutschen Rechtsphilosophen, der den Nazis diente, bis er in Ungnade fiel; er könnte Beijing erklären, warum die raison d’état, die Staatsräson, immer den Vorrang vor Demokratie haben sollte. Was die Außenpolitik betrifft, so ist die aus dem Schicksal der historischen Supermächte zu lernende Lektion ziemlich offensichtlich: divide et impera .
Da China im Gegensatz zur Sowjetunion besonders in den Anfangsjahren nicht hoffen kann, Ausländer auf der Grundlage einer internationalistischen Ideologie anzulocken, wird es sich Einfluss mit, wie es hofft, einem Minimum an Investitionen kaufen müssen. Ein derart wachsender Einfluss kann beispielsweise leichter zu der Forderung verleiten, dass die EU das Embargo auf Waffenverkäufe nach China aufhebt. Eine direkte Einflussnahme auf europäische Angelegenheiten erscheint unwahrscheinlich. Während die gegenwärtige Stimmung in China stark nationalistisch, ja sogar chauvinistisch ist, würde
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