Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Europe Central

Europe Central

Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
Vom Netzwerk:
er siebenhundert Stuka-Angriffe; Spartanowka musste jeden Augenblick aufgeben. Im gleichen Monat sehen wir ihn an seinen alten Kameraden Lutz schreiben: Es gilt jetzt, den Russen so zu zerschlagen, daß er sich davon so bald nicht wieder erholen kann.
29 Die Gefühlslage war sachlich, das Ziel ein praktisches. Das ist das Zeug, aus dem effiziente Soldaten sind. Coca schrieb er, dass Ernsts Panzerregiment sich höchst achtbar schlage; leider sei keine Zeit, dem Knaben einen Besuch abzustatten, aber sie müsse sich um ihn keine Sorgen machen; wenn ihm etwas zugestoßen wäre, hätte er es erfahren. Er bat sie, Olga von ihm zu küssen; sie noch einmal zu mahnen, dass man nicht über seine Verhältnisse leben dürfe, oblag ihm selbst, wie er fand. Friedrich, dem anderen Sohn, schrieb er einen kurzen liebevollen und aufmunternden Brief; Friedrich stand nun in Afrika unter Feldmarschall Rommel. Erst Beethoven vom Grammophon, dann eine Zigarette, dann der Signalaufklärungsbericht von Fremde Heere Ost, Gruppe I , Heeresgruppe B. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen; Generalmajor Gehlen gelang immer ein so schön glaubwürdiger Ton. Die Analyse des russischen Funkverkehrs bekräftigte Gehlens Beteuerung, dass die Produktionskapazitäten in den Gebieten, die vom europäischen Russland noch übrig blieben, ausradiert seien.
    Der sowjetische Feind tauchte unvermittelt in Fensterhöhlen auf, warf die Munitionsgürtel über geborstene Tragbalken, feuerte Raketen ab, schleuderte Handgranaten und verschwand wieder in seine schartigen Höhlen. Mit dem Gewehr in der Hand griffen sowjetische Fabrikarbeiter an und starben einen beinahe sinnlosen Tod, aber nicht ganz, denn jedes Mal, wenn drei oder ein Dutzend von ihnen fielen, fiel auch ein Deutscher. Immer kamen Russen nach; seine Gefangenen sagten
ihm nun unaufhörlich die Worte der Partisanin Soja auf, die wir im vergangenen Winter wegen Sabotage hatten hinrichten lassen: Ihr könnt nicht alle hundertneunzig Millionen Russen aufhängen! – Deutsche gab es nur achtzig Millionen. In der vergangenen Woche hatte er Schmidt darauf hingewiesen; der hatte nur gelächelt und erwidert: Wir werden es schon irgendwie schaffen, ganz bestimmt.
    Zuerst der tägliche Feindlagebericht, dann der Signalaufklärungsbericht. Leider verfügten wir nicht mehr über genügend Heinkel- III , um die Luftaufklärung weiter so regelmäßig zu betreiben wie bisher. Im Feindfunk hieß es: Die Panzer besser im Griff halten. Aber wie viele Panzer konnten sie schon haben? Gegen Ende September war in ihren Übertragungen immer öfter von einer für die ferne Zukunft geplanten »Operation Uranus« die Rede. Paulus, dem der grandiose Erfolg des Unternehmens Hai zugerechnet worden war, jenes Plans, der die Russen unmittelbar vor Beginn des Unternehmens Barbarossa mit einem Truppenaufbau an der Westfront in die Irre geführt hatte (sogar Coca war beeindruckt gewesen), roch Gefahr, allerdings nicht für seinen eigenen Abschnitt, aber durchaus für die Heeresgruppe Mitte. Feldmarschall von Reichenau hätte die Heeresgruppe Mitte sich selbst überlassen; Feldmarschall von Reichenau hätte sich übrigens nicht einmal die Mühe gemacht, sich diese Übertragungen des Feindes anzusehen, aber Generalleutnant Paulus, aufmerksam und gewissenhaft, ohne an den eigenen Vorteil zu denken, schickte eine chiffrierte Nachricht mit einer Warnung an Fremde Heere Ost, Gruppe I , Heeresgruppe B. Sie antworteten nie; er war erst verblüfft, dann beleidigt. Er wusste, dass ihn hinter seinem Rücken viele Generäle den »Bürogehilfen« nannten. Sie fanden ihn weibisch; für sie war er dasselbe wie der lächerlich fette und emsige Feldmarschall Keitel im OKW ; sie sagten, er habe keinen Schneid, keine Erfahrung, kein Recht, die 6. Armee zu befehligen. Ihre Ansichten beschämten ihn immer mehr. Außer Coca hatte dem Unternehmen Hai niemand Anerkennung gezollt, obwohl es Tausende deutsche Leben gerettet haben dürfte. Nun, das war ihre Sache, aber sie sollten sich wirklich vorsehen. Wenn die Russen im Spiel sind, wird sich erfolgreiche massierte Aufklärung unweigerlich zu einer Generaloffensive ausweiten. Niemand schien das zu begreifen, nicht einmal Schmidt. Egal, bald verschwand die Operation Uranus völlig aus dem feindlichen Funkverkehr. Er zündete sich noch eine Zigarette an und machte
sich eine Notiz, Generalmajor Gehlen persönlich dazu zu befragen, sobald …
    Die Mamajew-Höhe wieder in Feindeshand, Herr

Weitere Kostenlose Bücher