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abhing, versuchte er, alle Erinnerungen an die Kritik des Führers abzuwehren, aber dann war sie wieder da, die schmutzige Scham, als wäre er wieder ein kleiner Junge und sein Vater, der Buchhalter, hätte ihn beim Onanieren erwischt; er
konnte nur versuchen, sich einzureden, dass der Führer die ganzen Vorwürfe schon wieder vergessen hatte; jeder wusste, dass der Führer seit Moskau immer reizbarer geworden war.
Paulus war verunsichert. Aber die 6. Armee war noch immer bedingt einsatzbereit. Die Luft stank nach Zigaretten.
Schließlich waren es die Rumänen, die den Feind durchbrechen ließen. Was konnte man von diesem verslawten Sauhaufen anderes erwarten? Der Führer will, dass wir Deutschen eingreifen und unsere Pflicht erfüllen. – In Wahrheit konnten sie nicht viel mehr tun, als auf unseren Führer und Feldmarschall von Manstein zu warten, das wussten sie alle sehr gut.
Egal, sagten sie sich, Haltung bewahren. Verteidigung ist die höchste Form des Kampfes, das weiß jeder Kadett.
Unser Wille …
Aber wo sind diese ganzen Kampfeinheiten hergekommen?
Was soll das heißen, wo sind sie hergekommen? Russland ist endlos, Sie Idiot!
Wir müssen uns einfach hart machen …
… sonst bricht der Feind noch bis nach Europa durch!
… Kampf als Grundlage jeder Höherentwicklung …
Sobald von Manstein …
Dem sind wir egal.
Wem?
Sie wissen schon.
Im Gegenteil, ich kann Ihnen versichern, dass er sich fast alles andere egal sein lässt. Nur weil er Ihre Leiden nicht mit ansehen kann …
Aufrichtig versuchten sie, tapfer zu sein, etwa so wie ein-Mann mit eingefallenem Gesicht seiner Gefangennahme und Ermordung durch Zigaretten rauchende kasachische Reiter entgegensieht.
Rötlicher Sonnenuntergangsstaub lagerte sich auf den eingefrorenen Ruinen ab. Paulus schenkte allen Champagner aus. Dies war nun die Festung Stalingrad, so hatte unser Führer sie genannt. Ihr Schicksal würde es sein, das Leiden der Russen in Leningrad nachzuvollziehen. Sie stellten sich die deutschen Getreidefelder vor, die Kohlebergwerke und Raffinerien, die sich bald aus dieser Wüstenei erheben würden, alle von einem riesigen Ostwall geschützt, weshalb er das Thema von Widerstandsnestern in Dörfern aufbrachte. Nun, der Sprudel stieg ihnen
zu Kopfe; sofort wollten sie ausbrechen, riefen sie, aber Generalleutnant Paulus machte deutlich, dass er die Entscheidung des Führers mittrug. – Ich kann nicht aufgeben, sagte er in einem seiner seltenen humorvollen Momente. Ich bin störrisch wie ein Westfale, verstehen Sie? – Der Führer hatte an seiner Tapferkeit gezweifelt, also konnte er jetzt schon gar nicht ausbrechen. Wenn wir verstehen wollen, was für eine Sorte Mensch er war, müssen wir ihn vielleicht mit Feldmarschall von Brauchitsch vergleichen, der nach Feldmarschall von Mansteins Meinung nicht ganz zu der Spitzenklasse gehört hatte , die durch die Namen Frhr. v. Fritsch, Beck, v. Rundstedt, v. Bock und Ritter v. Leeb gekennzeichnet wurde.
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Um 22:15 Uhr in derselben trüben Nacht erreichte uns per Funk eine Nachricht unseres Führers:
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Da war er dann wieder glücklich. Unser Führer glaubte noch immer an ihn. Für ihn war das Vertrauen unseres Führers so lebensnotwendig wie für unsere Truppen in Stalingrad das Benzin.
Sie fragten ihn, was sie tun sollten.
Seine linke Gesichtshälfte zuckte.
Sie blickten ihn an.
Wir müssen jedem einzelnen Soldaten seine Überlegenheit bewusst machen, sagte der Generalleutnant Paulus in seinen weißen Handschuhen.
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Wieder jaulte eine Ju-52 auf den Boden zu, mit klar erkennbaren schwarzen Balkenkreuzen auf den Tragflächen, das Fahrwerk schon ausgefahren; wie verrückt quoll der schwarze Rauch aus dem
Cockpit. Dann der Aufprall, die Explosion, die roten Flammen im Schnee. Seine Soldaten ächzten.
Standhaft bleiben ist ja schön und gut, sagte er, ohne die Worte an jemand bestimmten zu richten, aber nicht für zu schwache Kräfte an einem überdehnten Frontabschnitt.
Jawohl, Herr Generalleutnant, sagte Generalmajor Schmidt. Haben Sie diese Depesche gesehen? Der Führer ist eben wieder in der Wolfsschanze eingetroffen. Er ist zuversichtlich, was unsere Lage betrifft.
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Bis Weihnachten hielten sie sich recht gut bei Laune, jede ihrer Nebelwerfergranaten war so schwer wie ein halbwüchsiges Kind. Den Genossen Stalin soll die Effektivität ihrer Verteidigung wirklich erstaunt haben. Das müssen wir Paulus zuschreiben, zum Teil zumindest, denn er war es, der die
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