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Pelzhandschuhe gezogen, genau wie Generalmajor Schmidt, denn das Hauptquartier war nicht geheizt; Paulus hatte befohlen, die Gasöfen dort nicht anzuzünden, aus Gründen ausgleichender Gerechtigkeit, bis wieder Benzin verfügbar wäre, um die Männer an der Front zu wärmen. Nach siebenundzwanzig Zügen hatte er Generalmajor Schmidt so ausmanövriert, dass unsere Truppen in Moskau einzogen, wenn auch unter hohen Verlusten; all dies unter der Voraussetzung, dass Paulus sämtliche Operationen zentral anordnen durfte. (Er konnte nicht anders, er musste an eine gewisse Einschätzung der Spielkünste des Führers zurückdenken, die General Warlimont ihm buchstäblich eingeflüstert hatte: Der Grundsatz, am entscheidenden Orte Schwerpunkte des eigenen Kräfteaufwandes zu bilden, ist ihm fremd. )
61 Nach der neunundzwanzigsten Runde gab Generalmajor Schmidt auf und sagte: Sie haben noch immer ein Händchen, Herr Generaloberst. – Und er gab seinem Kommandeur Feuer. Nein, ganz waren die Zigaretten ihnen nicht ausgegangen; es gab noch immer Reserven.
Zu Fuß gingen Paulus und Adam an die Front und stiegen über die grauen Mooskissen aus deutschen Leichen. Alles war ruhig.
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Am 4.1.43 handelte der tägliche Lagebericht für den Führer, der auf einer einzigen Seite die gesamte Weltlage zusammenfasste, Stalingrad im folgenden Absatz ab:
62 Schmidt war für diese Operation verantwortlich; er war es, der unsere Nordwestfront rettete. Generaloberst Paulus hockte im Keller, blätterte in einem Buch, das er in einem Granattrichter gefunden hatte, und saß auch am folgenden Tag noch dort, dem ersten Jahrestag seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber der 6. Armee; es handelte sich um einen stark vergilbten Band aus dem neunzehnten Jahrhundert, ganz in kyrillischer Schrift natürlich; er konnte sie buchstabieren, aber nicht verstehen; wie von selbst öffnete das Buch sich auf den Stich eines bärtigen Mannes mit traurigem Blick, der ein eckiges Wollkäppi trug: Пугачëв, was für Pugatschow stand, den ungebildeten Don-Kosaken und Thronan
wärter, der die Leibeigenschaft abschaffte, Orenburg angriff, Kasan niederbrannte, Saratow einnahm und Zarizyn belagerte, also Stalingrad, wo Suworows Heer ihn schlug; er wurde nach Moskau gebracht und dort im Jahr 1775 hingerichtet. Paulus hatte seinen Aufstand vor vielen Jahren durchgenommen, auf der Offiziersschule. Zu Pugatschows Zeit hatten die russischen Soldaten Eiserne Kreuze getragen wie heute wir, auch wenn ihre offenbar mit gestreiften Bändern geschmückt waren. Unverwandt starrten sie ihn an, als er willkürlich das Bilderbuch Russland durchblätterte und dabei Feigheit, »Gewissen«, jüdische Gewerkschaften und den ganzen anderen Unrat der sogenannten »Zivilisation« vergaß. Jetzt fand er sich auf einem Einhand-Segelboot auf einem breiten, stillen Fluss, es mochte der Don sein oder die Wolga, rundherum erhoben sich niedrige Berge, Bäume streckten ihre Zweige nach ihm aus, Sonnenstrahlen schossen seltsam durch den Aquatinta-Himmel, und die fahlen, trüben Weiten Russlands schlugen ihn in Bann; er hätte mit Coca auf Urlaub in Baden-Baden sein können, neben ihr im Sand sitzen und noch einmal Krieg und Frieden lesen, nur dass er nicht aufhören konnte zu zittern; eben hatte er den Abschnitt über Napoleons Rückzug begonnen, eine, wie er nach seinen eigenen Studien bestätigen konnte, sehr akkurate Darstellung; alles war schon längst entschieden, der schöne Kitzel, wie Coca seine Hand hielt und sich im Liegestuhl sonnte, während Ernst mit Friedrich eine Sandburg baute, Olga ihren neuen Badeanzug anprobieren ging und er den deutschen Sommer in vollen Zügen genoss und sich noch eine Zigarette anzündete. Er blätterte um, aber das Buch sprang wieder bei Pugatschow auf.
Am 9.1.43 lehnte er in Übereinstimmung mit den Anweisungen des Führers die vom Feind geforderte Kapitulation ab. (Schließlich, sagte unser Führer zu Feldmarschall von Manstein, hat es keinen Sinn, sich zu ergeben. Was glauben Sie, was die mit ihnen machen würden? Die Russen halten ja doch kein Abkommen ein.)
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Am 10.1.43 leiteten die Russen die Operation Ring ein. Unser Brückenkopf bei Marinowka brach zusammen. Paulus verlieh all seinen Soldaten das Eiserne Kreuz für Tapferkeit. Er drängte sie, ihre Anstrengungen für den Endsieg aufrechtzuerhalten.
Am 13.1.43 wurde die Festung Woronesch angegriffen, unser letzter verbleibender Stützpunkt im Umkreis von Stalingrad, und bald würde sie fallen, das
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