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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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gefrorene Leiche.
    Im Jahr 1958, als man ihm den Sibelius-Preis verlieh, verabschiedete
das Zentralkomitee eine Erklärung, die das Schdanow-Dekret von 1948 teilweise verurteilte, aber nur teilweise. Sie nannten es das Dekret über die Korrektur von Irrtümern. Schostakowitsch lächelte giftig, als er davon hörte. Nun, was machte das schon? Nicht einmal Nina hat an mich geglaubt, selbst als ich dachte, meine 7. Sinfonie könnte, Sie wissen schon. Maxim weinte vor Hunger, und ich habe tatsächlich geglaubt, das in Kunst verwandeln zu können. Ich …
    Im gleich Jahr zwang man Pasternak, den Nobelpreis abzulehnen, und gab eine sowjetische Auswahl der Verse der Achmatowa in Druck, mit einer Widmung an Dimitri Dimitrijewitsch Schostakowitsch, in dessen Epoche ich auf Erden wandelte . Oh, ich weiß genau, was Sie meinen, meine liebe, liebe Anna Andrejewna! In meiner Epoche. Meiner widerlichen Epoche des …
    Wir sehen ihn blass und müde mit Hemd und Krawatte, den Arm um A. Mrawinski gelegt, der ihn bald aus Angst verraten würde und seine Arme verschränkt hält, hager und gleichgültig wie ein verwundeter Soldat. Wir hören ihn seinem jungen Freund E. Denissow zuflüstern: Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, erkenne ich, dass ich ein Feigling war, ein Feigling. Aber wenn du alles gesehen hättest, was ich gesehen habe, Edik, dann wärst du vielleicht auch zum Feigling geworden. Kannst du dir das vorstellen? Man, man, nun ja, man nimmt die Einladung eines Freundes an, und wenn man in seiner Wohnung ankommt, entdeckt man, dass er verschwunden ist und all seine Bücher und Kleider auf die Straße geworfen wurden, und dass dort schon ein neuer Genosse eingezogen ist! Ich …
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    Das Telefon läutete. Sein lieber Freund Leo Oskarowitsch, der versucht hatte, ihn nach der Scheidung von Margarita zu trösten, lud ihn zu einem Fest in der Leningradskoje 44-2 ein, du weißt schon, im Kinohaus;
46 er könne mitbringen, wen er wolle; Roman Lasarewitsch werde da sein, und es würde vielleicht Arbeit geben, falls unser vertrauenswürdiger Dimitri Dimitrijewitsch etwas Antiformalistisches in Dur raushauen könnte – nicht so was wie deine 11. Sinfonie, bitte vergib mir meine Worte, aber wir wollen dir nur helfen –, zur Untermalung des Films »Weit ist mein Land«. Roman Lasarewitsch lässt ausrichten, Dimitri Dimitrijewitsch, er wäre wirklich sehr …
    Das war das Jahr, als er zum Vorsitzenden des Vorbereitungskomitees für den ersten Internationalen Tschaikowski-Wettbewerb bestimmt
wurde (der Preis ging an einen hochgewachsenen jungen Amerikaner namens Van Cliburn); das war das Jahr, als die Arthritis oder was immer es war sich in seinen Handgelenken einnistete, das Jahr, als die Moskauer Stadtverwaltung in einer besonderen Zeremonie Gedenkplaketten für Prokofjew enthüllte. Preise und Plaketten, das war alles so … Nehmen wir nur den Orden des Roten Sterns an ihrer rechten Brust; meine Schwester sagt, sie lege ihn an, wann immer Vigodski ausgehen wolle, und, und, weißt du … Prokofjews erste Frau nutzte die Gelegenheit, gegen die zweite Skandal zu machen. Was geht mich das an? Prokofjew und ich waren ja nicht einmal, wissen Sie; aber da ich mir gewisse Gefühle versage, warum soll ich dann nicht meiner, meiner Garstigkeit freien Lauf lassen? Denn dann bin ich noch mehr bereit für Opus 110! Wird es wirklich Opus 110 werden oder eher Opus 111? Meinem Plan nach wird es Nr. 110, ein Quartett, etwas Intimes, damit jeder das Wiesagtmangleich hört. Als wenn Prokofjews Frau überhaupt etwas, ein, ein … Zornbebend schlürfte Schostakowitsch den Wodka auf und empörte sich über die Falschheit der Frauen. Als die Musikwissenschaftlerin M. Sabinina vorsichtig einwarf, sie sei schließlich auch eine Frau, ruderte er kurz zurück, dann gestand er ihr, er sei nun, wie Prokofjew während seiner zweiten Ehe, völlig impotent.
    Zwischen ihm und Galina Ustwolskaja gab es inzwischen keinen Einklang mehr. Gemeinsame Freunde warnten ihn, sie schwärze ihn und seine Musik andauernd an. (Ich habe gelesen, sie habe sich in J. A. Balkaschin verliebt.) Er versuchte, nicht an sie zu denken, und träumte von den jungen Mädchen im Konservatorium mit den Geigenkästen auf der Schulter. Lebedinski murmelte er zu: Puschkin hat es gewusst! Seinem Schicksal entkommt man nicht!
    Er musste zu einem Konzert nach Leningrad. Ihm graute davor. An jeder Straßenecke hatte er Angst, der Ustwolskaja zu begegnen. Vor ihr graute ihm mehr als vor

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