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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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so überflüssig, wie ins Bordell Rosen mitzubringen. Wer solche Illusionen hatte, wollte sie behalten. Aber das Leben würde schon dafür sorgen, dass er sie verlor. Und das war auch der Grund, weshalb er, Genovese, sein Dasein danach ausrichtete, gar nicht erst solche zu bekommen.
    Als er Gerda zum zweiten Mal traf, sagte Vito zu ihr:
    »Deine Augen sind schön und traurig.«
    Die schönen Augen weiteten sich vor Erstaunen. Bislang hatte sie von Männern nur zu hören bekommen: Ach, Gerda, du bist immer so fröhlich, so lebendig, ja, du verstehst es, dich zu amüsieren. Dass sie traurig sei, nein, das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt.
    Erst jetzt, da Vito von ihrer Traurigkeit sprach, dachte Gerda darüber nach. Sicher, ein Teil von ihr war traurig, seit Jahren schon, aber sie hatte es gar nicht richtig gemerkt. Wie konnte er davon wissen?
    In der ersten Nacht, die sie zusammen verbrachten, drang er nicht in sie ein. Als er ihren nackten Körper sah, war er dermaßen überwältigt, dass sich nichts bei ihm regte. Vor jeder anderen Frau hätte er sich dafür geschämt. Vor Gerda nicht. Er spürte ein unerklärliches Vertrauen, dass sich alles so entwickeln würde, wie es sein sollte, und dass sie keine Eile hatten. Sie schlief ein, und er hielt sie bis zum Morgengrauen in den Armen und konnte sein Glück nicht fassen.
    Als sie sich das nächste Mal sahen, sagte er zu ihr:
    »Du verhakst die großen Zehen.«
    Sie saßen in einer Bar, und er stützte die Ellbogen auf die Tischplatte auf, zeigte ihr die Handflächen und steckte einen Daumen in die Vertiefung neben dem anderen.
    »Siehst du? So machst du. Wenn du auf der Seite liegst.«
    Gerda musste einen Moment überlegen. Sie bewegte die großen Zehen in den Schuhen, damit sich ihr Körper besser erinnerte, und tatsächlich, es stimmte: Wenn sie auf der Seite lag, steckte sie immer den großen Zeh in die Lücke zwischen dem anderen großen Zeh und dem daneben. Sie tat das schon immer, ohne es sich bewusst zu machen. Wer war dieser Mann, der sie zu kennen schien, seit sie ein kleines Mädchen war?
    In dieser Nacht versank Vito in ihr wie ein Taucher im Wasser und entdeckte die verborgensten Schätze der Lust. Gerda hatte nie jemandem gezeigt, was dort alles zu finden war, auf dem Grund ihres Meeres.

Km 112 6 – 1191
    Wir durchfahren den Bahnhof von Sapri, und im Nebenabteil entspinnt sich folgender Wortwechsel:
    Erster Inder: »Sabri?«
    Zweiter Inder: »Sapi.«
    Dritter Inder (das r betonend): »Sapri.«
    Erster Inder (das i betonend): »Saprì?«
    Dritter Inder (das a betonend): »Sàpri.«
    Inderin: »Sapri.«
    Alle (zufrieden): »Sapri.«
    Die Frau des pensionierten Polizisten hält immer noch ihre ganze Habe auf dem Schoß: Obwohl sie eingenickt ist, drückt sie weiterhin Jacke, Handtasche, Plastiktüte und Fahrkarte an sich und lockert auch nicht den Griff ihrer Hand, auf der ihr Kopf liegt. Als sie die Augen aufschlägt, spricht ihr Mann endlich die erlösenden Worte aus: »Leg doch mal die Sachen zur Seite!«
    Sie wirkt überrascht, als sei das eine Idee, die man in Betracht ziehen könnte, auch wenn sie sich etwas überspannt anhört. Sie erinnert mich an jene Frauen, die bei Grillfesten die ganze Zeit über am großen Tisch Bier ausschenken, Würstchen servieren, Brot schneiden und zwischendurch ihren Kindern noch die Nase putzen. Keinen Moment ruhen sie sich aus, essen keinen Happen, setzen sich kein einziges Mal hin, um entspannt das Fest und die Gesellschaft der anderen zu genießen. Und das nicht, weil sie unersetzbar wären, sondern weil sie es undenkbar finden, sich einen Moment mal nicht nützlich zu machen.
    Endlich befreit sich die Frau von den Taschen und Tüten, die sie im Arm gehalten hat. Geduldig verstaut er alles auf der Gepäckablage. Auch ich fühle mich erleichtert.
    Ein Tunnel reiht sich an den anderen, wir tauchen ein und wieder auf, und während eines kurzen Zwischenstücks schlängelt sich ein Bach mit klarem Wasser durch eine Wiese, die von blü henden Mandelbäumen umsäumt wird. Kein Mensch ist zu sehen, wohl aber ein schwarzer Stier. Ich habe ihn nur ganz kurz vor Augen, ein beinahe subliminaler Eindruck und doch von größerer Präsenz, dieses große mächtige Tier, das düster zwischen den weißen Blüten ringsum hervorragt.
    Als wir in den nächsten Tunnel einfahren, bleibt auf meiner Netzhaut ein heller Fleck in Form eines Stieres zurück: sein Negativ.
    Als Ulli zum ersten Mal Costa mit nach Hause brachte, um ihn der

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