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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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stand, nur noch eine Hülle, die ihr ähnlich sah. Weder Enttäuschung noch Trauer empfand sie, sondern fast einen Anflug von Erleichterung. Immerhin brauchte sie sich keine Sorgen mehr zu machen, es war nun tatsächlich passiert, das Schlimmste, was sie immer befürchtet hatte: Ihre Mutter würde nicht mehr zu ihr zurückkommen, nie mehr. Deshalb bemerkte sie auch gar nicht, dass jetzt eine Frau aus dem Fiat stieg. Auch auf den Mann in der schwarzen Uniform, der neben ihr auf sie zukam, achtete sie nicht. Erst als die Frau ihren Namen rief und der Mann sich niederkauerte, um ihr direkt in die Augen zu sehen, begann ihr bewusst zu werden, dass hier etwas Außergewöhnliches, Fantastisches geschah.
    Keiner der Männer, die Gerda kennengelernt hatte, hatte sich wie Vito verhalten.
    Während Gerda Schlutzkrapfen buk, löste Vito mit Eva italienische Kreuzworträtsel. Das hatte Eva noch nie gemacht, weder auf Italienisch noch auf Deutsch oder auf Chinesisch.
    Während Gerda das Essen auftrug, fragte Vito Eva nach der Schule, nach ihren Lieblingsfächern, ihren Klassenkameraden.
    Während Gerda abspülte, erinnerte Vito Eva ans Zähneputzen.
    Als Gerda Eva in ihr Bettchen bringen wollte, schüttelte Vito den Kopf.
    »Nein, nein, die kleine Sisiduzza war vor mir da.«
    Und so durfte Eva weiter in dem großen Bett schlafen, wie wenn sie mit ihrer Mama alleine war.
    Gerda streckte sich neben ihr aus, und auf der anderen Seite legte sich Vito nieder. Durch die Wimpern nahm Gerda die beiden wie zwei flackernde dunkle Figürchen auf dem Boden eines Glases Johannisbeersaft wahr. Vito las Eva von Sandokan, Yanez und den malayischen Tierjungen vor. Gerda hatte ihr noch nie etwas vor dem Einschlafen vorgelesen, und erst recht nicht auf Italienisch. Zwar verstand Eva nicht alle Worte dieser Spra che voller Vokale und sanfter Laute, aber das war auch unwichtig. Reglos lag sie da und lauschte mit halb geschlossenen Augen, während sich die blonden Härchen an ihren Unterarmen ein wenig aufgerichteten hatten, allein durch die Zärtlichkeit in seiner Stimme.
    »Was heißt Sisiduzza?«, fragte sie irgendwann.
    »Fünkchen«, antwortete Vito.
    So lag sie da, von den beiden gekrümmten Körpern wie in einer Muschel eingeschlossen, und strahlte innerlich heller als die »Perle von Labuan«.
    Von Vitos Stimme gewiegt, wurden ihre Lider immer schwerer, bis sie sich langsam ganz schlossen.
    »Eva schläft«, sagte da ihre Mutter.
    Erst jetzt nahm Vito sie sanft auf die Arme und trug sie in ihr Kinderbett hinüber.
    Eva schlief tief und fest, so fest wie seit Säuglingstagen nicht mehr.
    Für die zwei Tage hatte Genovese Vito seinen Fotoapparat geliehen, und es wurden viele Bilder gemacht.
    Gerda vor dem Kirchlein im nachtblauen Hemdblusenkleid.
    Gerda auf einer Holzbank vor dem Heuspeicher.
    Gerda und Eva auf einer Wiese voller Pusteblumen.
    Ein Foto machte auch Eva, die sofort begriff, wie durch den Sucher zu schauen und der Auslöser zu betätigen war: Vito und Gerda, die sich lächelnd in die Augen schauen, sie in den Knien leicht gebeugt, um ihn nicht zu überragen.
    Ein weiteres machte ein Passant, dem Vito die Kamera in die Hand drückte: Eva zwischen Gerda und Vito vor dem Hintergrund der Gletscher, alle drei mit den lächelnden Gesichtern einer Familie von Sommerfrischlern.
    Als Gerda ihn Maria, Sepp und der ganzen vielköpfigen Familie vorstellte, sagte Vito, der die Stube betrat:
    »Griastenk!«
    Seit mehr als einem halben Jahrhundert waren es die beiden alten Leute gewohnt, dass Soldaten, Beamte, Funktionäre oder Lehrer sie auf Italienisch ansprachen, dass man italienische Antworten von ihnen erwartete und dass man sich über ihr schlechtes Italienisch lustig machte. Einen Carabiniere, der sie im Süd tiroler Dialekt begrüßte, nein, so etwas hatten sie noch nie erlebt. Vito fragte sie, ob sie Lust hätten, am Abend die Artischocken zu probieren, die er mitgebracht habe, und Gerda lud sie ein, zu ihnen in das möblierte Zimmer zum Essen zu kommen.
    Als Eva eine dieser Artischocken in die Hand nahm, kam sie ihr mehr wie eine Blüte als wie ein Gemüse vor. Man brauchte sie nur anzusehen, diese riesengroße, ledrige Knospe auf dem haarigen Stängel, um zu begreifen, dass sie aus einem Land der Fülle stammen musste. In ihrer Gegend mit den harten Böden an fast senkrechten Hängen waren solche Pflanzen jedenfalls unbekannt. Vito bereitete die Artischocken mit den Aromen des Südens zu. Sepp und Maria kosteten schweigend,

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