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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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konzentriert, so, als be mühten sie sich, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Als Vito ihnen eine zweite Portion anbot, sagten beide Ja.
    Es war das erste Mal, dass Gerda in ihrem möblierten Zimmer Gäste empfing, richtige Gäste, für die man kochte und mit denen man plauderte, während Brot gebrochen wurde und die Krümel auf die Tischdecke rieselten. Und sie als richtige Gastgeberin, mit ihrem Mann an ihrer Seite.
    Bevor die Gäste eingetroffen waren, hatte Vito eine Holzplatte herbeigeschafft, die er auf den einzigen Tisch im Raum legen wollte, um ihn zu vergrößern, damit alle daran Platz fanden. Eva war mit Malen beschäftigt und reagierte nicht, als Gerda sie bat, den Tisch von Blättern und Stiften frei zu räumen.
    »Eva, tu, was deine Mutter sagt, aber sofort!«, schaltete sich Vito mit einer Stimme ein, die nicht barsch klang, aber keinen Widerspruch duldete.
    Eva hob den Blick und schaute Vito aus weit aufgerissenen Augen an.
    Er schimpfte mit ihr! Dabei war Vito weder ihr Lehrer noch der Pfarrer, geschweige denn Sepp (der allerdings nie und niemandem gegenüber die Stimme erhob). Aber er schimpfte. Eva stand auf und räumte die Stifte vom Tisch, die Augen niedergeschlagen, sodass es aussah, als schmolle sie. In Wahrheit wollte sie nur nicht zeigen, wie glücklich sie war.
    Während des Essens erzählte Sepp dem Brigadiere von seiner zweijährigen Kriegsgefangenschaft. Weil selbst die Misshandlungen durch Hermann zu Zeiten der »Option« ihn nicht hatten dazu bringen können, seinen Hof aufzugeben, war er, wie alle »Dableiber«, zur italienischen Armee eingezogen worden. Als ihn dann die Engländer in der afrikanischen Wüste gefangen nahmen, bat er darum, zu den Deutschen ins Lager gesteckt zu werden, um sich wenigstens mit den anderen Gefangenen in seiner Muttersprache unterhalten zu können. Für die Lagerverwaltung war Sepp aber nur ein Soldat aus der Provinz Bolzano, Italy, und deshalb musste er bei den Italienern bleiben.
    »Das war mein Glück«, sagte Sepp zu Vito.
    Die Kartoffeln, die die Deutschen zu essen bekamen, waren faulig, durch ihr Brot krochen Würmer, und in ihrer Suppe schwamm Pappe. Brot und Kartoffeln für die Italiener aber waren fast unverdorben, und in ihrer Suppe gab es Kohlblätter. Ja, die Engländer kannten die Italiener, erklärte Sepp: So gefügig sie auch sonst sein mochten – war ihr Essen ungenießbar, gingen sie auf die Barrikaden.
    Vito trug noch mal Artischocken auf. Der nur halb zugedeckten Pfanne entströmte der Duft von Knoblauch, Minze und wildem Fenchel. Für Eva war dieses Aroma wie Vitos Gegenwart: intensiv und einnehmend wie etwas nie zuvor Probiertes, an das man sich aber sofort gewöhnen konnte.
    Als Gerda nach den zwei Tagen Urlaub ins Hotel zurückkehrte, strahlte sie etwas aus, was sogar der Küchenjunge Elmar nie zuvor an ihr gesehen hatte. Es war nicht die Fröhlichkeit, als wenn sie sich etwa zum Ausgehen mit Genovese fertig gemacht hatte, sondern eine ruhige, völlig erfüllte Zufriedenheit.
    Immer noch schaute Elmar, der es wegen seines übermäßigen Alkoholkonsums nie weiter als zum Tellerwäscher brachte, Gerda gerne und sehnsüch tig an. Als er an jenem Tag aber erlebte, wie sie mit nie gesehener Zärtlichkeit die Steaks auf dem Küchenbrett klopfte, riss er vor Staunen die Augen auf. Gerda merkte es, hob den Blick und lächelte ihn an. Elmar stockte der Atem. Gerdas Liebe zu Vito war so voll und reich, dass sogar für ihn, den armen alkoholabhängigen Küchenjungen, noch etwas übrig war.

Km 1191 – 1303
    In Lamezia Terme schieben sich die rastlosen indischen Telefonierer von nebenan an der Tür unseres Abteils vorbei, um auszusteigen. Die Frau mit der tiefen Stimme trägt Jeans, weiße Socken und mit bunten Perlen besetzte Dianetten, die Männer haben Bäuche wie Billardkugeln und magere Beine. Über die Schulter eines dieser Männer lugen zwei große, mit Kajal umränderte Augen. Dass es kein italienisches Kind sein konnte, war mir allerdings schon vorher klar geworden, denn in den über fünf Stunden hat es kein einziges Mal geweint. Ich lächele den Jungen an. Zunächst bleibt seine Miene ernst, plötzlich enthüllt er Zähnchen wie ein Haifischbaby, und seine Augen leuchten wie ein Funke auf.
    Ein Fünkchen, eine Sisiduzza.
    Sie werden von einer Frau abgeholt, offensichtlich Italienerin, die sie lachend empfängt. Auch die Inder scheinen sich zu freuen, sie zu sehen, und laden fröhlich die Koffer aus. Es sind viele pralle Gepäckstücke,

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