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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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zu begreifen, dass man ihren Vornamen nicht aussprach, wie er geschrieben wurde, also »Gherda« statt »Gierda«, hatte sie einige Mühe gekostet. Aber dieser Nachname … Ging das denn überhaupt, dass ein Wort mit einem H anfing und einem Konsonanten endete? Ja, klar ging das, versicherte ihr Vito, und selbst im Italienischen gebe es so eines: hotel . Und dann, erzählte er weiter, sei dieser Nachname ja noch gar nichts, da gebe es weit schlimmere, manche ließen sich wirklich unmöglich aussprechen, und noch nicht einmal er, nach all den Jahren dort oben, bekomme das so richtig hin, und dann zählte er ihr einige auf. Sie verstand überhaupt nichts mehr, und um ihr einen Spaß zu machen, schrieb er die Namen auf ein Blatt.
    Schwingshackl. Niederwolfsgruber. Tschurtschenthaler.
    Aber sie stöhnte eher, als sie lachte, kein einziger Vokal, nur Konsonanten, und noch nicht einmal normale Konsonanten, sondern Ks und Hs und Ws. Was waren das bloß für Namen! Außerdem fühlte sie sich durch diese Laute zu sehr an jene Tage im Jahr 1943 in Reggio Calabria erinnert, als in ihrem Schoß ein Kind heranwuchs und ihr Mann, was sie damals aber noch nicht wusste, bereits in einem Massengrab in Griechenland lag und die Deutschen von Haus zu Haus marschierten und gegen die Türen schlugen und dabei so etwas wie »scinél actùn ràus capùt« brüllten. Es war wirklich ein Wunder, dass sie nicht vor Angst eine Fehlgeburt erlitten hatte. Aber Vito mochte sie das nicht sagen, denn einmal hatte er ihr erklärt: »Schau mal, Mama, nur weil sie Deutsch sprechen, sind die doch nicht alle Nazis.« Und da war ihr klar geworden, dass sie das Thema besser fallen ließ. Zum Glück hatte er ja diese Stimmen, die wie Maschinengewehrfeuer klangen, nicht mehr miterleben müssen, denn als er dann auf die Welt kam, waren die Amerikaner schon da.
    Auf alle Fälle war sie erst einmal beruhigt, als ihr Vito alles erzählte.
    Denn, nun ja, es war nicht zu leugnen, irgendwann hatten sie bereits böse Vorahnungen beschlichen.
    Wenn diese Bekanntschaft, die er da gemacht hatte, ein anständiges Mädchen war, nun gut, warum nicht, er wäre nicht der erste Soldat, der sich seine Braut von irgendwoher aus der Ferne, wo er stationiert war, nach Hause mitbrächte. Nur, warum hatte er die Sache mehr als ein ganzes Jahr vor allen geheim gehal ten?
    Deshalb machte sie sich Sorgen. Steckte vielleicht hinter diesem langen Auf-die-Schuhspitzen-Starren ein Hindernis, ein Haken, eine Schande? Eigentlich war Vito ein sehr besonnener Mann, selbst als kleiner Junge hatte er sich nie Eigenmächtig keiten erlaubt. Als sie ihn, da war er sechs, zum Brotkaufen schickte und ihm absichtlich etwas zu viel Geld mitgab, um zu sehen, ob er ihr den Rest auch wiederbrachte, was machte er da, der künftige Carabiniere? Er benahm sich nicht nur wie ein Carabiniere, sondern auch wie ein Steuerfahnder, wie einer, der die Bücher prüft, mit Soll und Haben, in denen alles korrekt sein muss. Die kleinen Lire-Münzen zählte er ihr einzeln in die Hand, die zu fünf mit dem Fischlein und die zu zehn mit der Ähre und dem Pflug darauf, nein, nicht die kleinste Verfehlung erlaubte er sich, nicht mal ein Bonbon kaufte er sich ohne ihre Erlaubnis. Aber bekanntermaßen waren es manchmal eben die geradesten Stöcke, die im Feuer landeten.
    Doch er konnte sie beruhigen, als er ihr das Foto zeigte.
    Schön war sie, wirklich eine richtige Schönheit, da gab es nichts. Fast zu schön, hatte Mariangela gedacht, aber nicht gesagt. Und Vito starrte das Foto von diesem blonden Prachtweib so verträumt an, dass man sich vorstellen konnte, wie er sie erst mit Blicken verschlang, wenn er sie leibhaftig vor sich hatte. Gewiss, Gerda sah nicht nur fast zu schön, sondern auch fast zu deutsch aus. Aber nun gut, mit manchen Dingen musste sich eine Mutter eben abfinden, und sie hatte sich immer über Schwiegermütter geärgert, die der jungen Ehefrau ihres Sohnes das Leben schwer machten, nur weil sie nicht bis aufs i-Tüpfelchen ihren Vorstellungen von einer Schwiegertochter entsprach. Mariangela Anania, geborene Mollica, mit einem Säugling zur Kriegerwitwe geworden, wusste, welche Mühsal das Leben für Frauen bereithielt, und während sie das Foto betrachtete, überlegte sie: Wenn das nun das Mädchen ist, das mir Vito ins Haus bringen will, werde ich ihr zeigen, wie man Schwertfisch zubereitet und Auberginen mit Mandeln und Walnüssen, ich werde sie trösten, wenn sie Heimweh nach ihrem Dorf bekommt und

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