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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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genau vor Augen: Sie hatte es jetzt schon oft gesehen, wenn Vito etwas zu ihr sagte, das mit »du …« begann. Dann wurde es so wunderschön, das Gesicht ihrer Mutter, dass selbst sie es kaum noch wiedererkannte.
    Eines Tages, in der Schule, baute sich die Lehrerin vor Eva auf, die, anstatt aufzupassen, an einem Bild zeichnete.
    »Und wer soll das sein?«, fragte sie, indem sie auf das Blatt zeigte.
    Das Bild zeigte einen Mann mit dunklen Augen und Haaren, auf dem Kopf eine Schirmmütze, und breiten roten Streifen an den Seiten seiner schwarzen Uniformhose. In der Hand hielt er, wie einen Rosenstrauß, eine riesengroße violett-grüne Artischocke.
    »Mein Tata« , sagte Eva. Mein Papa.
    Der Urlaub war vorüber.
    Vito blickte aus dem Fenster, sah aber nur sich selbst: Der Nachtzug war gerade in Reggio Calabria losgefahren und draußen, auf der Meerseite, war nichts als Finsternis.
    Bevor er nach Hause aufgebrochen war, hatte er Gerda versprochen, dass er seiner Mutter Bescheid sagen würde. Gerdas Miene war erstarrt wie vor Schmerz, doch es war Freude. Das hatte sie noch nie erlebt, dass man sie einer Mutter als künftige Schwiegertochter ankündigte.
    Und von Eva werde ich ihr auch erzählen.
    Er würde seiner Mutter ein paar von Evas Heften mitbringen und ihr zeigen, wie gut sie in der Schule war. Ich kann es gar nicht erwarten, sie kennenzulernen, würde seine Mutter sagen. Und dass sie ihr etwas Schönes schenken und kalabrische Lieder beibringen wolle …
    Ehrlos, verachtenswert, falsch. So fühlte sich Vito nun.
    Er saß in einem Waggon, der bis nach Deutschland durchfuhr. Es war der Zug der »Fremdarbeiter«, der italienischen Emigranten, die nach den Ferien im heimischen Dorf an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Vito kannte es schon: Ganze Abteile belagerten sie mit ihren Caciocavalli-Käsen, ihren Gläsern mit in Olivenöl eingelegten Tomaten, den Korbflaschen voll Wein. Mit ihm redeten sie über ihr Heimweh und wie hart es sei, fern der heimischen Wurzeln zu leben. »Da bleibt immer ein Teil von einem zurück«, sagten sie. Und sie beneideten ihn, wenn sie sahen, dass er noch vor dem Brenner ausstieg. Sie schienen nicht zu wissen, dass dies zwar noch Italien war, aber nur gewissermaßen.
    Der Zug nahm Fahrt auf und machte sich auf den langen Weg ganz Italien hinauf, wo am oberen Ende der Ort lag, den Gerda ihr Zuhause nannte, am unteren der, der für ihn das Zuhause war.
    Vito war schon eine ganze Weile wieder zurück, als er die Klappe des Küchenherds öffnete und die Nduja sah.
    Die Salami war ein Mitbringsel von seiner Mutter für Gerda, für seine Verlobte, wie sie betont hatte. Aber die konnte sie nicht essen. Zu scharf war sie ihr, zu intensiv, zu anders als die Geschmacksrichtungen, die sie kannte. Und als Vito gegangen war, hatte sie die Wurst einfach in den Ofen gesteckt. Nun war sie voller Asche, gräulich und stank.
    Gerda trat zu ihm und drückte sich an ihn. »Ich habe sie nicht runterbekommen.«
    »Macht doch nichts.«
    Er trat an das Fenster, das zu den Gletschern hinausging, und stand da, während ihm die Lippen zitterten. Noch nie hatte er eine so tiefe Traurigkeit in sich gespürt. Er hätte nicht sagen können, woher sie rührte. Seine Augen wurden feucht.
    Gerda schaute ihn erschrocken an. War es möglich, dass er wegen einer Salami weinte? Er richtete sich auf und legte ihr eine Hand um die Taille.
    »Tut mir leid«, sagte er, »ich bin nur ein wenig erschöpft.«
    Er drückte sie an sich, schloss die Augen, suchte ihre Haut. Nur eine Sehnsucht spürte er in diesem Moment: blind zu sein, taub und ohne Zukunft.
    Wochen, Monate waren vergangen. Bei Vito und Gerda hatte sich nichts verändert.
    Weiterhin besuchten sie gemeinsam Eva, die die übrige Zeit bei Sepp und Maria lebte, zur Schule ging und jede freie Minute mit ihrem Ulli verbrachte. Gerda arbeitete in der Hotelküche, Vito in der Kaserne. Sie schliefen miteinander, sobald sie Gelegenheit dazu hatten. Zum Tanzen gingen sie dagegen nicht mehr: Beiden war klar geworden, dass sie eigentlich gar kein Interesse daran hatten.
    Leni hatte auf dem Hof ihrer Eltern ein weiteres Gebäude mit drei Apartments für Touristen bauen lassen. Es war ihr nicht leichtgefallen, alle Genehmigungen einzuholen. Die Kinder bereiteten ihr keine Sorgen in der Schule, ihre alten Eltern waren noch rüstig, und so sah sie sich selbst nicht als unglückliche Frau.
    Wastl war nach München gezogen, wo er Musikunterricht gab und Klarinette in einer Jazzgruppe

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