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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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wie Polenta auf einem großen Brett verteilte. Sobald die Masse kalt und fest geworden war, wurde sie in rechteckige Stücke geschnitten. Diese Natronseife griff die Haut an, und nach einem Monat waren Gerdas Fingerspitzen so wund wie rohes Fleisch. Doch mit Hand schuhen galt man als »empfindlich«, ein Schimpfwort, fast schlim mer noch als »Matratze«.
    Wurde der Filter des Rauchfangs nicht alle sieben Tage gesäubert, begann das geronnene Fett, in die Speisen zu tropfen. Einmal wöchentlich, am Freitag, kochten die Küchenhilfen ihn in einem Bottich mit Natronlauge aus und scheuerten auch die Kacheln in der gesamten Küche. An diesem Tag fiel für Gerda die »Zimmerstunde« aus, jene Ruhepause im Schlafsaal zwischen der Mittags- und der Abendschicht.
    Gerdas letzte Aufgabe des Tages bestand darin, das hölzerne Hackbrett, auf dem sich Fisch- und Fleischreste abgesetzt hatten, zu sterilisieren. Spätabends, wenn die Küche schon geschlossen war, besprenkelte sie das Brett mit Alkohol, hielt ein Streichholz daran und ließ eine Stichflamme auflodern. So begann und endete Gerdas Arbeitstag mit Feuer.
    Der Chefkoch, Herr Neumann, war ein beleibter, rotgesichtiger Mann mit ravioligroß geschwollenen Lidern und einem kleinen rosafarbenen Kindermund. Kochlöffel oder Gabeln benutzte er praktisch nie. Für den Geschmack einer Speise komme es zu fünfzig Prozent auf die Konsistenz an, und ein Koch, der seine Zutaten nicht berühre, habe keine Ahnung, was er zubereite. Für alles nahm er die bloßen Hände und tauchte seine überraschend feingliedrigen Finger in die Pfannen und Kasserollen. Noch nicht einmal zum Abschmecken der Soßen griff er zu einem Kochlöffel, sondern steckte kurzerhand einen Finger hinein und leckte ihn ab, geschwind wie ein naschendes Kind, das nicht erwischt werden will. Und er verbrannte sich nie.
    Wenn dann die hungrigen Gäste die fast zweihundert Plätze im Saal besetzten, hagelte es in kurzen Abständen eine Bestellung nach der anderen. Mit den raumgreifenden Schritten von Schlittschuhläufern flogen die Kellner heran und lasen laut rufend von den Blöcken ab, was sie sich notiert hatten, bevor sie den Zettel neben der Durchreiche ablegten.
    »Gerstensuppe, neu!«
    »Filet au poivre, neu!«
    »Lammrippen aux herbes, neu!«
    » Rollade , neu!«
    Mit schwungvollen Armbewegungen sammelten sie die Teller ein, die die Köche in der Durchreiche bereitgestellt hatten, stapelten sich bis zu sechs auf einmal auf die Arme und glitten über den Marmorfußboden in Richtung Speisesaal davon.
    Streiten hörte man die Köche nie, zumindest nicht in den Stoßzeiten; zu sehr waren sie damit beschäftigt zu rühren, abzuschmecken, zu garnieren und sich nicht zu verbrennen. Einigen sah man die Hektik an, Hubert zum Beispiel, der sich ruckartig wie ein nervöser Vogel bewegte. Er war für die Vorspeisen und die gekochten Beilagen verantwortlich und tanzte rastlos vor den Herdflammen auf Beinen, die so dürr waren, dass sie jeden Moment wie Spaghetti durchzubrechen drohten. Herr Neu mann dagegen erledigte seine Aufgaben genauso flink, aber ruhig. Manchmal überschnitten sich die Laufwege der Köche, und mit weit ausholenden, eleganten Bewegungen verhinderten sie, dass die glühende Pfanne des einen gegen den Rücken des anderen stieß. Es war ein Tanz, wild und fieberhaft, jedoch angetrieben von kühler Konzentration.
    Die hin und her rauschenden Kellner und Kellnerlehrlinge allerdings empfanden jedes Warten, jeden Aufenthalt, auch wenn er nur Sekunden dauerte, im Fegefeuer zwischen der verrauchten Küche und dem Saal voller ungeduldiger Gäste als eine Behinderung ihrer Arbeit, an der sie irgendjemandem die Schuld geben mussten. Dass sie die Köche beschimpften und umgekehrt, kam häufig vor.
    Schnell und in endloser Zahl, wie Regentropfen auf einer Fensterscheibe bei Gewitter, erschienen und verschwanden die fertigen Teller auf der Ablage in der Durchreiche. Die Zettel mit den erledigten Bestellungen wurden von Herrn Neumann auf einem langen Stift seitlich der Öffnung in der Wand aufgespießt. Sogar in den hektischsten Momenten gelang es ihm, begleitet von einem angestrengten, aber zufriedenen Grunzen, zwanzig Zettel auf einmal zu lochen. Wehe dem, der es gewagt hätte, ihm diese Aufgabe streitig zu machen: Nur der Chefkoch durfte darüber entscheiden, ob eine Bestellung korrekt erledigt, ausgeliefert und damit abzuhaken war. Einmal geschah es, dass ein junger, gerade eingestellter Ladiner einen Bestellzettel

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