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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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welch unglaubliche Dreistigkeit, am Arbeitstisch für die Fleischgänge, dem Königreich von Herrn Neumann. Irgendwann wollte er wissen, ob dieses wohlgeformte Mädchen, dessen Gang für ein ruhiges Zusammenarbeiten in der Küche eigentlich zu aufreizend war, beim Zusehen nur Zeit vertrödelte, die sie besser auf das Spülen von Tellern und Gläsern verwenden sollte, oder ob sie tat sächlich etwas dabei lernte. Und so kam es, dass Herr Neumann, gegen alle Gepflogenheiten, Gerda schon nach einem Jahr zur Hilfsköchin ernannte. Halblaut grummelte Hubert ein paar unmissverständliche Anspielungen auf die wahren Gründe dieser Beförderung, fand aber nicht den Mut, diese auch vor ihr, geschweige denn dem Chef, zu wiederholen.
    Die Arbeit als Hilfsköchin war immer noch sehr hart, vor allem im Sommer, wenn es in der Küche verrauchter als sonst und heißer als im tropischen Regenwald war. Allen lief der Schweiß in Strömen übers Gesicht, nicht nur den Übergewichtigen wie Herrn Neumann, sondern auch so schlanken, hageren Typen wie Hubert. Bei diesem Koch, der für die ersten Gänge und die gekochten Beilagen zuständig war, sah man am unteren Ende seiner langen Arme immer eine Art Metallfortsatz, eine Pfanne oder eine Kasserolle, deren Inhalt er beim Schwenken gerne in die Höhe warf, ohne dass er jemals außerhalb des Pfannenrandes gelandet wäre: Penne in Hirschfleischsoße, in Butter sautierte Kartoffeln, in Öl mit Knoblauch und Petersilie geschmorte Pilze. Über sein Gesicht, das zu früh faltig geworden war, rann der Schweiß, und manchmal tropfte er sogar von seinem Kinn. Oft wusste auch Gerda nicht mehr, ob es sich bei dieser Flüssigkeit, in die sie gebadet war, um eigene Ausdünstungen handelte oder um Küchendampf, der auf ihrer Haut kondensierte. Längs der Schläfen, an den Nasenrändern oder hinter den Ohren grub der Schweiß tiefe Rinnen in die Haut, wie es die Wildbäche im Kalkgestein der Dolomiten taten. Jeden Abend nach dem Duschen cremte Gerda die wunden Stellen an Kopf und Hals mit Nivea ein, doch wenn die Saison vorüber war, waren die Stellen offen wie rohes Fleisch. Um das Brennen des Schweißes auf der wunden Haut zu betäuben, gab es nur ein Mittel: rauchen. Bald hatte Gerda wie die anderen in jeder Pause eine Zigarette zwischen den Fingern.
    Knetmaschinen, Schneidegeräte, Mixer gab es noch nicht. Was es gab, waren allein die Arme der Küchenhilfen und Hilfsköche. Bis um Mitternacht war Gerda jetzt damit beschäftigt, die Zutaten vorzubereiten, die die Köche am nächsten Tag weiterverarbeiten würden. Sie schälte und zerteilte verschiedenste Gemüse, die dann in den Schubladen unter dem Arbeitstisch für die gekochten Beilagen aufbewahrt wurden, rollte den Teig für die Tagliatelle aus, bereitete die Biskuitböden für die Torten und den Blätterteig für die Spezialität des Hauses zu, den Apfelstrudel, ohne den Ferien in Südtirol undenkbar waren. Jeden Abend galt es zentnerweise Äpfel zu schälen und zu zerkleinern, mit Zitrone zu beträufeln und unter einem feuchten Tuch bereitzustellen, damit der zuständige Konditor sie in der Küche am nächsten Morgen in den Teig geben und backen konnte. Außerdem hatte Gerda abends die länglichen, hellgrünen und purpurn gestreiften Rhabarberstücke mit Zucker vermischt in den bereits erlo schenen, aber noch warmen Ofen zu schieben. Am nächsten Mor gen waren sie zu Kompott geworden und konnten – mit Sahne, Gelatine und weiterem Zucker gemixt und in Puddingformen erkaltet – serviert werden.
    Außerdem musste Gerda die Eier zubereiten. Das Eiweiß für die Baisers schlug sie in großen Kupferschüsseln zu Eischnee, Eigelb verrührte sie mit Zucker und Milch in Keramikschüsseln für den Kuchenteig. Häufig waren mehr als fünfzig Eier aufzuschlagen, und an manchen Abenden war ihr rechter Arm so lahm geworden, dass sie sich zum Aufbinden der Schürze von Elmar helfen lassen musste.
    Alle Küchenjungen in den Restaurants und in den großen Hotels der Gegend waren Trinker. Obwohl er erst sechzehn Jahre alt war, bildete Elmar da keine Ausnahme. Doch ohne diese Hilfskräfte wäre der Betrieb in den Küchen nach ein paar Stunden zum Erliegen gekommen. In der Regel waren sie die jüngsten Söhne der ärmsten Bauern und hatten vor der Wahl gestanden, entweder als Knechte auf einem Hof reicherer Bauern vor Kälte oder in einer großen Hotelküche vor Hitze zu sterben. Elmar war die Entscheidung leichtgefallen: Kälte hatte er bereits genug

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