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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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Scheibe unter seinen Trophäen eingereiht: Köpfe von Hirschen mit ihren verzweigten Geweihen, von Steinböcken, die wie nahe Verwandte von Einhörnern aussahen, ein echter Adler, der mit gespreizten Flügeln an die Wand genagelt war.
    Hin und wieder verschwand Peter für einige Tage, ohne seiner Frau oder seinen Eltern Bescheid zu geben, und wenn er heimkehrte, verlor er kein Wort darüber, wo er gewesen war. Und dann kam sich Leni mehr noch als sonst, zusammen mit dem kleinen Ulli, wie eine Geisel in diesem düsteren Haus vor. Als sie eines Nachts wieder allein mit dem Kleinen im Arm in dem Ehebett aus Tannenholz schlief, träumte sie von dem schrecklichen Tag, als sie sich als Kind während eines Gewitters im Wald verirrt hatte. Im Traum schlug ein Blitz nur wenige Meter vor ihren Füßen ein und ließ die Erde erbeben. Da fuhr Leni aus dem Schlaf hoch und schlug die Augen auf. Gerade hatte sich Peter, noch in Kleidern, neben sie aufs Bett geworfen. Seine Haare, seine Haut, die Kleider, alles strömte einen schwefligen Geruch wie von einem Blitzeinschlag aus. Wie immer schaffte es Leni auch jetzt nicht, ihn zu fragen, wo er sich herumgetrieben hatte, denn im nächsten Augenblick war ihr Mann schon eingeschlafen. Dafür war Ulli aufgewacht. Da Leni ihn nicht sogleich wieder beruhigen konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als aufzustehen. Über eine Stunde wanderte sie mit dem weinenden Kind im Arm auf den Holzdielen der mittlerweile kalten Stube hin und her. Irgendwann zog sie, schon steif vor Kälte, den Mantel über, den ihr Mann, bevor er sich aufs Bett warf, auf dem Stuhl abgelegt hatte. Die freie Hand steckte sie in die Tasche, und als sie ihre Finger wieder hervorzog, waren sie mit einem feinen, leicht fettigen, brotpapierfarbenen Pulver überzogen, das nach Schwefel roch. Leni konnte es so genau nicht wissen, aber es war Donarit.
    Sie nahm sich fest vor, mit ihm darüber zu reden, doch nicht einmal eine Stunde nachdem Ulli endlich entkräftet eingeschlafen war und sie mit ihm, ging Peter schon wieder aus dem Haus. Deshalb verriet Leni also Johanna von diesem seltsamen Pulver und dem Schwefelgeruch, den das Haar und die Kleider ihres Mannes verströmten. Die Schwiegermutter hörte ihr zu, sagte aber kein Wort. Sie erzählte Leni nicht, wie sie vor vielen Jahren Spuren roter Lackfarbe am Mantel ihres Sohnes entdeckt hatte, und zwar in jener Nacht, als der steinerne »Wastl« von Unbekannten beschmiert worden war. Sie blickte auch nicht zu Leni auf, sondern blieb vor dem Küchenherd knien und fuhr fort, die emaillierten Klappen und stählernen Griffe mit Wasser und Ammoniak zu schrubben. Als Leni erkannte, dass sie keine Antwort erhalten würde, verließ sie, mit Ulli im Arm, Küche und Hof.
    Erst in diesem Moment drehte sich Johanna zu der Stelle auf dem Fußboden um, wo gerade noch die Füße ihrer Schwiegertochter gestanden hatten. Da durchfuhr ein jäher Schmerz ihren linken Arm, dessen Hand kurz zuvor noch die Ofenklappe festgehalten hatte, um sie besser wienern zu können. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn, und eine Übelkeit überkam sie zusammen mit einem Gefühl drohender Gefahr. Nein, sie durfte sich von dem, was die Schwiegertochter ihr gerade erzählte hatte, nicht so erschrecken lassen. Im Grunde war doch nichts passiert, was nicht wiedergutzumachen wäre.
    Tatsächlich aber nahm die Katastrophe bereits ihren Lauf, allerdings im Innern ihres Körpers, im Hin-und-her-Strömen von arteriellem und venösem Blut, das seit ihrer Geburt mit leisem, regelmäßigem Schwappen Organe und Gewebe versorgte. Schon seit einiger Zeit war ihre linke Kranzader, ohne dass sie davon wissen konnte, teilweise verstopft, sodass der ungehinderte Blutfluss zur vorderen Herzscheidewand gestört war. Johanna war sich dessen nicht bewusst, aber wie sie da so auf dem mit Spülwasser besprenkelten Holzboden kniete, erlitt sie einen leichten Herzinfarkt.
    Nach den Monaten in der Großküche mit ihrem Lärm, der Hitze und all den Gerüchen kam Gerda, wenn sie wieder daheim war, das Schweigen im Haus ihrer Eltern so verhärtet wie der getrock nete Schlamm nach einer Überschwemmung vor. Jedes nicht unbedingt notwendige Wort, jeder Ausruf, jede Bemerkung, jede Frage, jedes Adverb und Adjektiv wurden darunter begraben. Geblieben waren nur Verben in Imperativform (nimm, bring, geh, wasch, iss) oder Bezeichnungen für bestimmte Dinge: Tello für den Teller, der anzureichen war, um die Suppe hineinzugeben; Foiozoig für die

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